Wie Ohrwürmer unseren Schlaf stören

Wissenschaft

Viele Menschen hören vor dem Einschlafen Musik, um sich zu entspannen. Doch das könnte die Schlafqualität beeinträchtigen, zeigt eine neue Studie. Demnach können Ohrwürmer uns nicht nur im Wachzustand plagen, sondern auch im Schlaf unser Gehirn beschäftigt halten. Dadurch wachen wir häufiger auf und verbringen mehr Zeit in leichten Schlafstadien. Die Autoren der Studie empfehlen deshalb, kurz vor dem Schlafengehen auf Musik zu verzichten.

Musik kann beruhigen, entspannen und uns von schweren Gedanken ablenken. Schon Kindern singen Eltern Schlaflieder vor, und viele Jugendliche und Erwachsene lassen sich von ihren Lieblingsklängen in den Schlaf begleiten. Frühere Studien haben bereits gezeigt, dass Musik Stress reduzieren und beim Einschlafen helfen kann. Doch während uns manche Lieder ruhig schlafen lassen, verfolgen uns andere als Ohrwurm durch die Nacht. Sie halten uns lange wach und geistern uns teils noch am nächsten Morgen im Kopf herum.

Einschlafhilfe oder Wachhalter?

Dieses Phänomen hat der Schlafforscher Michael Scullin von der Baylor University in Texas auch bei sich selbst beobachtet. Gemeinsam mit seinem Team hat er daraufhin untersucht, wie sich Musik vor dem Einschlafen und Ohrwürmer auf unser Schlafverhalten auswirken. Dazu befragten sie zunächst 199 Personen zu ihren Musikhörgewohnheiten und ihrer Schlafqualität. Das Ergebnis: Wer häufig vor dem Einschlafen Musik hörte, litt öfter unter Ohrwürmern, die auch bei nächtlichem Aufwachen präsent waren, und schlief insgesamt schlechter.

„Unser Gehirn verarbeitet auch dann Musik, wenn keine abgespielt wird, anscheinend auch, wenn wir schlafen“, sagt Scullin. „Viele Jugendliche und junge Erwachsene hören routinemäßig Musik vor dem Schlafengehen. Aber je mehr man Musik hört, desto wahrscheinlicher ist es, dass man sich einen Ohrwurm einfängt, der vor dem Schlafengehen nicht mehr weggeht. Wenn das passiert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Schlaf darunter leidet.“

Ohrwürmer stören den Schlaf

Um die Rolle von Ohrwürmern beim Schlafen besser zu verstehen, untersuchten Scullin und seine Kollegen in einem weiteren Experiment 50 Personen im Schlaflabor. „Vor dem Schlafengehen spielten wir den Probanden drei populäre und eingängige Songs vor: Taylor Swifts ‚Shake It Off‘, Carly Rae Jepsens ‚Call Me Maybe‘ und Journeys ‚Don’t Stop Believin’“, berichtet Scullin. Ein Teil der Teilnehmer bekam die Originalversion der Stücke zu hören, ein anderer Teil reine Instrumentalversionen. Während die Probanden schliefen, maßen die Forscher ihre Hirnwellen, Herzfrequenz und Atmung und überwachten so die Schlafqualität. „Die Teilnehmer gaben an, ob und wann sie einen Ohrwurm erlebten. Dann analysierten wir, ob sich das auf ihre nächtliche Schlafphysiologie auswirkte“, erklärt Scullin.

Das Experiment bestätigte das Ergebnis aus der Umfrage: „Personen, die sich einen Ohrwurm eingefangen hatten, hatten größere Schwierigkeiten beim Einschlafen, mehr nächtliches Erwachen und verbrachten mehr Zeit in den leichten Schlafstadien.“ Eine Erklärung für die schlafstörenden Auswirkungen von Ohrwürmern liefern die EEG-Messwerte der Probanden: Teilnehmer, die im Schlaf einen Ohrwurm hatten, zeigten mehr langsame Oszillationen im Gehirn, einen Marker für die Reaktivierung des Gedächtnisses. Bei diesem Prozess werden temporäre Erinnerungen während des Schlafes spontan abgerufen und in längerfristige Formen umgewandelt. Besonders dominant waren die langsamen Oszillationen im primären auditorischen Kortex – der Region, die auch im Wachzustand durch Ohrwürmer aktiviert wird.

Besser keine Musik für dem Schlafengehen

„Fast jeder dachte, dass Musik den Schlaf verbessert, aber wir fanden heraus, dass diejenigen, die mehr Musik hörten, schlechter schliefen“, sagt Scullin. „Was wirklich überraschend war, war, dass Instrumentalmusik zu einer schlechteren Schlafqualität führte – Instrumentalmusik führt zu etwa doppelt so vielen Ohrwürmern.“ Getestet haben die Forscher allerdings nur Popstücke mit und ohne den zugehörigen Text. Ob beispielsweise klassische Musik oder eigens zur Entspannung komponierte Klänge ähnliche Auswirkungen haben, ist unklar.

Auf Basis seiner eigenen Ergebnisse empfiehlt Scullin, Musik vor dem Schlafengehen zu vermeiden, um keinen Ohrwurm zu riskieren. Doch selbst, wenn man nur an ein Lied denkt, kann es sich als Ohrwurm einschleichen. „Wenn man häufig im Bett Musik gehört hat, hat man beim Einschlafen oft Assoziationen, die in diesem Kontext einen Ohrwurm auslösen können, selbst wenn man an diesem Abend keine Musik gehört hat“, sagt Scullin.