Wenn man auf einem Ohr plötzlich nicht mehr richtig hört, deutet das auf einen Hörsturz hin. Früher galt es als Notfall: Sofort ins Krankenhaus, lautete die Empfehlung. Heute raten Ärzte davon ab.Es ist, als habe plötzlich jemand die Lautstärke heruntergedreht. Ein Ohr macht dicht, verweigert den Dienst. Ärzte sprechen dann vom Hörsturz, erklärt Gerhard Hesse, Chefarzt des Ohr- und Hörinstituts im hessischen Bad Arolsen und Sprecher des fachlichen Beirats der Deutschen Tinnutus-Liga.
Die Schwerhörigkeit kommt aus dem Nichts, ohne Vorwarnung, „oft morgens direkt nach dem Aufstehen, oft auch in belastenden, stressigen Situationen“. Warum das so ist, und was genau im Ohr passiert, hat die Wissenschaft bisher nicht herausfinden können. Viele halten Stress für einen möglichen Auslöser. Bewiesen ist es bisher nicht.
Ein Hörsturz galt früher als Notfall, mit dem man so schnell wie möglich zum Arzt sollte. Solche Hektik, die schnell in Panik umschlägt, ist laut den aktuellen Empfehlungen nicht notwendig und eher kontraproduktiv – es sei denn, das Ohr ist komplett taub, sagt Hesse. Ansonsten könnten die Patienten insbesondere bei eher gering ausgeprägten Hörverlusten zunächst 24 bis 48 Stunden abwarten, sagt Michael Deeg, Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde in Freiburg. Bei der Hälfte der Betroffenen kommt das Gehör von allein zurück. „Und auch wenn das nicht der Fall sein sollte, droht keine Verschlechterung, und es besteht auch nicht die Gefahr, Behandlungschancen zu verpassen“, beruhigt Deeg. In der Wartezeit sollten es die Patienten etwas ruhiger angehen lassen: „Entspannen, früher schlafen gehen, auf Alkohol und Nikotin verzichten“, rät der HNO-Arzt.
Bleibt das taube Gefühl im Ohr bestehen, ist ein Termin beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt der nächste Schritt. Er untersucht zunächst den Gehörgang: Möglicherweise ist ein Pfropf aus Ohrenschmalz schuld an den Hörproblemen. Auch ein Infekt kann die Ursache sein: Dann bildet sich im Mittelohr hinter dem Trommelfell Flüssigkeit, und der Schall wird weniger gut weitergeleitet.
Der Arzt fragt außerdem ab, ob der Patient lauten Geräuschen ausgesetzt war, Böllerschüssen zum Beispiel oder einer Explosion. „Lässt sich kein solch auslösender Faktor feststellen, liegt ein Hörsturz vor“, sagt HNO-Spezialist Hesse. 40 bis 100 von 100.000 Menschen seien pro Jahr betroffen.
Schauplatz ist das Innenohr. Dort liegen die Haarzellen, die Schallwellen in elektrische Impulse umwandeln. Sie werden von den Nerven ins Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet – erst dann hören wir. Bei einem Hörsturz arbeiten Haarzellen in einem bestimmten Frequenzbereich nicht mehr so, wie sie sollen.
Die Hör-Einschränkungen können sehr unterschiedlich ausfallen, sagt HNO-Arzt Deeg. Manchmal treten weitere Symptome auf: Bei einigen Patienten wird der Hörsturz von einem Ohrgeräusch, Tinnitus genannt, begleitet, bei anderen fühlt sich die Ohrmuschel pelzig an. Schmerzen verursacht ein Hörsturz in der Regel nicht.
So behandelt man den Hörsturz
Manchmal hilft schon Ruhe: Die Rate an Spontanheilungen auch noch in den ersten Wochen nach einem Hörsturz ist hoch. Ein Medikament, das die Ursache eines Hörsturzes bekämpft, gibt es nicht – weil die Ursache nicht bekannt ist. Bei der Behandlung setzen die HNO-Ärzte mittlerweile vor allem auf Kortison. Die aktuellen Behandlungsleitlinien sehen das Hormon als Mittel der Wahl vor. Die Infusionstherapien mit durchblutungsfördernden Präparaten, die früher zum Einsatz kamen, werden nicht mehr angewendet: „Die wissenschaftliche Aufarbeitung hat gezeigt, dass sie keinen signifikanten Effekt haben und sogar zu unerwünschten Nebenwirkungen führen können“, sagt Deeg.
Das Kortison wird in hoher Dosierung eingesetzt, als Infusion, in Tablettenform oder per Spritze direkt ins Ohr. „Der Wirkstoff reguliert den Flüssigkeitshaushalt im Innenohr und wirkt anti-entzündlich“, erläutert Hesse. Die Stoßtherapie über einige wenige Tage sei gut verträglich. Auch wenn die Wirksamkeit von Kortison beim Hörsturz nicht erwiesen sei, werde die Behandlung von den Krankenkassen bezahlt, berichtet HNO-Arzt Deeg: „Mir ist kein Fall bekannt, wo eine Erstattung verweigert worden wäre.“ Bringt sie keinen Erfolg, kann man es mit einer Sauerstoffüberdruckbehandlung versuchen: Die Patienten atmen dabei in einer Druckkammer reinen Sauerstoff ein. Gesetzlich Versicherte müssen für die aufwendige Therapie selbst aufkommen, eine Sitzung kostet rund 200 Euro.
Bestimmte Hörgeräte helfen
Nicht immer gelingt es, das Hörvermögen vollständig wiederherzustellen: „Bei zehn bis 20 Prozent bleiben Hörminderungen“, schätzt Hesse. „Wenn die Dämpfung 25 bis 30 Dezibel beträgt, macht sie sich im Alltag störend bemerkbar“, sagt Eberhard Schmidt, Hörgeräteakustikermeister in Regensburg und Delegierter der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker.
Mit einem schwächeren Ohr sind vor allem Gespräche in großer Runde schwierig. Auch die Richtung, aus der ein Geräusch kommt, lässt sich nicht mehr so gut identifizieren. „Manchmal reagiert das Gehör nach einem Hörsturz außerdem empfindlicher auf laute Geräusche“, sagt Schmidt. Ein Hörgerät kann das betroffene Ohr dann unterstützen. Die Systeme lassen sich so programmieren, „dass sie genau die Frequenzen, die fehlen, ans Trommelfell bringen“, erklärt Schmidt. Außerdem können sie helfen, einen störenden Tinnitus zu mildern – und erleichtern damit die Konzentration auf das Wesentliche im Gespräch.
Quelle: https://www.welt.de/gesundheit/article154550187/Diesen-Fehler-machen-viele-nach-dem-Hoersturz.html