Ständiges Hörtraining ist sinnvoll

Verschiedene Studien lassen vermuten, dass eine Schwer­hörigkeit das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, erhöhen kann. Das Top Gesundheitsforum sprach mit Prof. Dr. Thomas Zahnert, Direktor der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden über verschiedene Ursachen von Hörstörungen, den Einfluss von Hörsystemen auf kognitive Fähigkeiten und die Anforderungen an Hörgeräte in der Zukunft. 

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Hörstörungen und Demenz?
Prof. Zahnert: Die Patienten werden immer älter, weshalb auch immer mehr Schwerhörige gleichzeitig an einer Demenz­erkrankung leiden. Hörstörungen sind zudem die im Alter am häufigsten auftretende sensorische Erkrankung. Zwischen 60 und 70 Jahren leiden rund 35 Prozent der Menschen daran, ab etwa 70 Jahren sind es über 60 Prozent. Gleichzeitig haben Hörstörungen einen großen Einfluss auf kognitive Fähigkeiten. Diese lassen vor allem nach, wenn die Hörstörungen schon seit längerem bestehen, denn das Ohr ist ein extrem wichtiges Kommunikationsorgan. Patienten, die schlecht hören, ziehen sich immer mehr aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Sie meiden vor allem schwierige Hörsituationen, in denen Geräusche aus mehreren Richtungen kommen und sich überlagern, zum Beispiel in Gaststätten oder bei Gesprächen mit mehreren Personen. In diesen Situationen müssen vom Gehirn permanent Störgeräusche herausgefiltert werden, was nun nicht mehr einwandfrei gelingt. Die Ursache dafür ist, dass im Alter die Zellfunktionen nachlassen und damit auch die Sinne schlechter werden. Am Ohr bildet sich das auf verschiedenen Ebenen ab.

Welche sind das? 
Zum einen sind die Sinneszellen in der Hör­schnecke, die einen Teil des Innenohrs ausmacht, betroffen. Sie sind vor allem für das Hören hoher Frequenzen zuständig, und um Feinheiten in der Stimme und der Sprache zu erkennen. Worte setzen sich aus hohen und tiefen Frequenzen zusammen, sodass die Betroffenen mit einer Hochtonschwerhörigkeit das Gesagte nicht mehr richtig verstehen. Sie haben Schwierig­keiten, Gesprächen zu folgen und tun sich deshalb auch immer schwerer, überhaupt zu kommunizieren.  Zum anderen nehmen wir an, dass neben den Sinneszellen im Ohr aber auch nachgeschaltete Bereiche für eine Hörstörung verantwortlich sein können. Das betrifft vor allem die Hörbahn, die den Schall vom Ohr ins Gehirn leitet, wo er verarbeitet wird. Liegen Störungen an der Hörbahn vor, zum Beispiel durch Eiweißablagerungen oder Störungen der Synapsen, funktionieren zentrale Verarbeitungs­prozesse nicht mehr richtig. Dazu gehört zum Beispiel das Richtungshören. Auch das Sprachverstehen wird negativ beeinflusst. Nicht mehr nur hohe Töne können schlecht verstanden werden, sondern alle Frequenzen, also auch tiefe und mittlere. Um gut hören zu können, brauchen wir deshalb beide Ohren und die Hörbahn.

Haben alle Patienten, die an einer Schwerhörigkeit leiden, gleichermaßen Störungen an der Hörschnecke und der Hör­bahn?
Nicht unbedingt. Bei einigen ist nur die Hör­schne­cke betroffen, bei anderen auch die Hörbahn. Letzteres lässt aber nicht automatisch die Schlussfolgerung zu, dass diese Patienten an Demenz leiden, denn Störungen der Hörbahn kommen auch bei Patienten vor, die nicht dement sind. Bei Patien­ten, die sich zum Beispiel schlecht an Worte erinnern können, oder bei denen das Richtungshören gestört ist, nehmen wir an, dass die Ursache eher in der Hörbahn liegt. Hier kann es einen Zusammenhang mit Demenzerkrankungen geben, da, wie be­reits erwähnt, die kognitiven Einschränkungen durch die Dege­neration von Gehirnzellen aufgrund der Demenz durch die Hör­störungen noch verstärkt werden.

Könnte man also mit einem Hörgerät einer Demenz vorbeugen?
Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass Hör­geräte einen positiven Einfluss haben. Aber wir wissen noch nicht, ob es tatsächlich einen Zusammenhang gibt. Das ist nicht bewiesen. Ich glaube, dass der positive Einfluss nur auf einen Teil der Erkrankten zutrifft. Patienten, die nicht dement sind, nehmen mithilfe eines Hörgerätes wieder stärker am sozialen Leben teil, was natürlich ganz allgemein positive Auswirkungen hat. Aber dass ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen Schwerhörigkeit und Demenz besteht, wäre rein spekulativ. Man kann nicht sagen, dass Patienten, die ein Hörgerät tragen, nicht an Demenz erkranken können, oder Patienten, die schwerhörig sind und kein Hörgerät haben, eine Demenz bekommen werden. Klar ist, dass ein gut angepasstes Hörsystem auch die kognitiven Leistungen trainiert. Das trifft sowohl auf Schwerhörige als auch auf Patienten mit Demenzerkrankungen zu. So helfen Hörgeräte natürlich beiden Gruppen.

Zeigen sich denn bei Demenzpatienten Verbesserungen, wenn sie ein Hörgerät erhalten?
Ja. Das Training der Hörbahn ist auf jeden Fall sinnvoll. Bei schwerhörigen Patienten mit Demenz ist der Verlauf der Demenzerkrankung langsamer, wenn sie ein Hörgerät tragen. Oder anders gesagt: Eine Demenz kann bei Schwerhörigen ohne Hör­rehabilitation schneller voranschreiten als bei Normalhörenden.

Muss Ihrer Meinung nach die Hörgeräteversorgung in Zukunft verbessert werden?
Die Versorgung mit Hörgeräten ist nicht immer einfach. Viele ältere Patienten kommen schlecht mit der Hand­habung des Gerätes zurecht. Auch implantierte Hörsysteme bringen da keine Vorteile. In Zukunft muss die technische Ent­wicklung vor allem dahin gehen, Hörgeräte für das Alter bereitzustellen, die einfach zu bedienen sind.

Wie Sie eben erwähnten, klagen viele Betroffene darüber, dass sie mit dem Hörgerät nicht klarkommen. Was raten Sie ihnen?
Man sollte so früh wie möglich mit dem Tragen eines Hörgerätes beginnen. Wir sagen ab einer Hörschwäche von ungefähr 30 Dezibel. Das entspricht etwa einem Flüstern. Wenn man das nicht mehr wahrnimmt, liegt eine Hörstörung vor, bei der ein Patient von einem Hörgerät profitiert. Natürlich sind die Grenzen fließend und individuell verschieden. Das Problem ist jedoch, das Gehirn an das Hörgerät zu gewöhnen. Das Gehirn kann eine Hörstörung in gewissen Grenzen kompensiern, allerdings oft mit großer Anstrengung, was zur Erschöpfung oder der Verstärkung eines Tinnitus führen kann. Trägt man dann nach längerer Zeit der Schwerhörigkeit zum ersten Mal ein Hörgerät, muss man sich zunächst daran gewöhnen, plötzlich wieder Geräusche zu hören, die man lange Zeit nicht wahrgenommen hat. Das ist ein Lernprozess, der über Wochen geht.

Wo steht die Forschung derzeit beim Thema Hörstörungen und Demenz?
Sie steht noch am Anfang. Es gibt dazu schon verschie­dene Studien, aus den  USA, Frankreich und auch aus Deutschland. Ein Problem dieser Studien ist, geeignete Tests zu finden, die sowohl für Ältere schwerhörige Menschen als auch für Demenz­kranke anwendbar sind. Es gibt zum Beispiel spezielle Hörtests für Kinder, die aber nicht für Demenzkranke angewendet werden können. Gerade für Demenzpatienten sind Hörtests zeitaufwändig. Die Entwicklung steckt hier noch in den Kinderschuhen.

Die Fragen stellte Ute Nitzsche

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Thomas Zahnert studierte Humanmedizin an der Humboldt Universität Berlin und der Medizinischen Akademie Dresden. Nach seiner Ausbildung zum Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde habilitierte er an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden. Für seine Habilitationsschrift erhielt er den „Anton von Tröltsch-Preis“. An der TU Dresden wurde er 2008 zum Uni­versitätsprofessor für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde berufen. Seit 2004 ist er dort zudem Direktor der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. Er war außerdem Ehrendoktor an der staatlichen Universität Tblisi, Ehrenmitglied in der Indischen Gesellschaft für Otologie, Präsident der Vereinigung mitteldeutscher HNO-Ärzte und der Deutsch-Spanischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde. Thomas Zahnert ist weiterhin Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger Audiologen, Neuro­otologen und Otologen (ADANO). Er erhielt zweimal den Inno­vationspreis für Medizintechnik des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. 

 

Quelle: https://www.top-gesund-dresden.de/2016/09/07/staendiges-hoertraining-ist-sinnvoll/