Ich höre nicht schlecht, die anderen reden nur so undeutlich!
Hörverlust ist ein wachsendes Problem in Europa. Dennoch tragen 85 Prozent der Betroffenen kein Hörgerät und sind nur schwer davon zu überzeugen, dass sie schlecht hören. Die Vorarlberger Hörgeräteakustiker klären über die wichtigsten Mythen auf.
So mancher kennt den folgenden Dialog: „Jetzt geh doch endlich zum Hörtest“, beschwert sich der Nachwuchs. „Aber ich höre doch gar nicht schlecht, ihr redet nur alle so undeutlich!“, protestiert der Angesprochene. „Während Brillen als modische Accessoires gesehen werden, gibt es gegen das Tragen von Hörgeräten leider noch viele Vorbehalte. Man befürchtet, damit als alt zu gelten“, schildert Hubert Mangold, der als Berufsgruppensprecher der Hörgeräteakustiker mit solchen Argumenten wohlvertraut ist.
Hohe Dunkelziffer
Mehr als 800.000 Menschen in Österreich geben an, dass sie schlecht hören. Bis zum Jahr 2050 soll diese Zahl rund 1,5 Millionen betragen. „Die Dunkelziffer ist aber vermutlich viel höher“, sagt Mangold. Der Hörverlust erfolgt schleichend. Bei über Siebzigjährigen haben Tests ergeben, dass mehr als die Hälfte schlecht hört. Geschätzte 85 Prozent der Betroffenen besitzen kein entsprechendes Hörgerät. Das ist problematisch: Wer seine Umgebung schlecht wahrnimmt, für den wird es schwerer, im Alter ein unabhängiges Leben zu führen und an der Gesellschaft teilzuhaben. Die Gefahr von Unfällen, Folgeerkrankungen und Depressionen steigt. Studien zufolge betragen die Kosten des unbehandelten Hörverlusts inklusive arbeitsmarktrelevanter Kosten europaweit rund 178 Milliarden Euro.
Dennoch sind Betroffene oft schwer zu überzeugen, sich untersuchen zu lassen. „Es gibt viele Vorurteile und Mythen rund um das nachlassende Hörvermögen, die sich aber leicht entkräften lassen“, sagt Mangold.
Hörverlust fängt bei bestimmten Tönen an: „Schleichender Hörverlust bedeutet nicht, dass alles insgesamt leiser wirkt. Er äußert sich als erstes darin, dass man bestimmte, meist hochfrequente Töne nicht mehr hört“, erklärt der Berufsgruppensprecher. Pfeifen und Zischen werden nicht mehr erfasst und die Unterschiede etwa zwischen Buchstaben wie „s“ und „f und den Worten „reißen“ und „reifen“ nicht mehr erkannt. Dann sollte man dringend einen Hörtest machen. Selbst dann, wenn man prinzipiell auch leise Geräusche wahrnimmt.
Das Gehirn hilft oft, sich über schlechtes Gehör „hinwegzumogeln“: Erstaunlicherweise verstehen die meisten Menschen nur einen Teil der Worte, die ihnen ihr Gegenüber sagt, tatsächlich. „Das Gehirn hat die fantastische Fähigkeit, aus dem Kontext heraus Worte nachträglich zu entschlüsseln“, erklärt Mangold. Je weniger Worte tatsächlich vom Ohr erfasst werden, oder je müder das Gehirn ist, desto schwerer fällt diese Entschlüsselung. Wer abends schlechter hört, sollte seine Ohren daher von einem Spezialisten kontrollieren lassen.
Nebengeräusche wirken störender: Die Gesprächspartner reden nicht undeutlicher, aber Nebengeräusche werden für Menschen mit wachsendem Hörverlust bei Gesprächen wesentlich störender. Dazu gehören Straßenverkehr, Partylärm und die Geräuschkulisse in Restaurants. „Wenn man diese Umgebungen als zunehmend unangenehm empfindet, kann das mit dem Gehör zu tun haben“, erklärt Hubert Mangold.
Moderne Hörgeräte sind dezent: Die neuesten Hörgeräte verschwinden vollkommen im Gehörgang und sind kaum als solche zu erkennen. Auch das früher störende „Pfeifen“ aufgrund von Rückkopplungseffekten ist längst Geschichte. Dank Richtmikrofonen und digitaler Filterfunktionen kann sich das Gerät an eine Vielzahl von Situationen diskret anpassen.
Ein erster Hörtest ist innerhalb von Minuten erledigt: Die erste Untersuchung, bei der festgestellt wird, ob eine Unterstützung notwendig ist, kostet nur wenige Minuten. „Wer also befürchtet, wahnsinnig komplizierte Tests über sich ergehen lassen zu müssen, kann beruhigt sein, es geht schnell und unkompliziert“, verspricht Mangold. Erst zur Anpassung des Gerätes werden komplexere Messungen durchgeführt, etwa zum Sprachverständnis.
Schleichender Hörverlust ist „normal“: Die berühmte Altersschwerhörigkeit hängt bei den meisten Menschen nicht mit Traumata zusammen, wie etwa einem lauten Knall, der dem Innenohr schadet. Sie ist oft eine Folge der lebenslangen Lärmkulisse, von der man umgeben ist und in diesem Sinne schwer zu verhindern. Wer aber aufgrund seines Berufs oder seiner Hobbys viel mit Lärm zu tun hat, kann mit einem vom Hörakustiker individuell angepassten Gehörschutz Vorsorge betreiben.
„Es ist uns anlässlich des Tags des Hörens besonders wichtig, zögernden Menschen die Scheu vor dem Verwenden von Hörgeräten zu nehmen“, sagt der Vorarlberger Berufsgruppensprecher. „Wer lebhaft an der Gesellschaft teilnimmt und sich mit anderen frei und ungezwungen austauschen kann, bleibt innerlich jung. Das wollen wir allen Menschen ermöglichen.“
Quelle: https://www.vn.at/gesund/2019/03/01/vorbehalte-gegen-hoergeraete.vn