Klassische Musik hören Kinder nicht so oft. Schon gar nicht live im Konzert. Das Theater Vorpommern hat jetzt Kinder, die gar nicht hören können oder zumindest schwerhörig sind, zu einem Konzert eingeladen. Direkt auf die Bühne im Greifswalder Theater. Wer schlecht hören kann, muss nämlich fühlen. Wussten wir schon immer. Aber auf dieser Bühne hat dieser Satz eine ganz neue Bedeutung bekommen.
Die Musiker vom Orchester Vorpommern sitzen auf der großen Bühne im Greifswalder Theater, in feierlichem Schwarz. Für sie ist es ein ganz normales Schülerkonzert, mit einem Saal voller Kinder aus Schulen der Region. Aber die sitzen diesmal nicht nur im Zuschauerraum – sie sind auch auf der Bühne. Knapp zehn Kinder nämlich, in weißen Maleranzügen, die aussehen wie kleine Kosmonauten. Mit Pinseln an langen Stielen malen sie bunte Farben auf eine lange Papierbahn auf dem Boden. Sie können nur sehr schlecht oder gar nichts hören und malen, was sie durch Vibration und ihr Gefühl erleben.
«Beethoven gehört zur DNA unserer musikalischen Kultur»
Es ist die 2. Sinfonie von Beethoven. Am Dirigentenpult steht der Generalmusikdirektor des Theaters, Florian Ciszmadia: «Ich glaube, dass Beethoven generell ein Komponist ist, mit dem jeder junge Mensch zu tun haben muss – möglichst früh», findet Ciszmadia. «Deswegen halte ich das auch für sehr wichtig, das in einem Schüler- oder Jugendkonzert zu spielen. Beethoven ist einfach der Vater der abendländischen Sinfonik und gehört zur DNA unserer musikalischen Kultur. Das muss man früh kennenlernen und sich damit auseinandersetzen.»
Ein unglaublicher Spaß»
Die Kinder und Jugendlichen mit Hörschädigung kommen von einer Spezial-Schule in Putbus. Dort lernen Kinder aus ganz Deutschland mit Lichtsignalen, Gefühlssensorik und Gebärdensprache. Sabine Kuhnert ist Pädagogin am Theater Vorpommern. Sie erklärt den Kindern, dass Beethoven schon schwerhörig war, als er die 2. Sinfonie komponiert hat.
Vor dem Konzert war Sabine Kuhnert mit Instrumenten in der Schule: «Was ich besonders toll fand, war die unglaubliche Neugier für die Instrumente. Es war ein unglaublicher Spaß, das auszuprobieren. Ich hatte das Gefühl, gerade beim Ausprobieren dieser Instrumente, dass das Motorische, das Sensorische bei diesen Kindern viel stärker ausgeprägt ist als bei besser hörenden Kindern und Jugendlichen, und dass sie viel schneller auf dem Instrument zurechtkamen.»
«Für unsere Kinder ist es wichtig, dass sie involviert werden»
Viele Kinder haben starke Hörgeräte. Andere halten einen Luftballon in den Händen und fühlen die Vibrationen. Schuldirektor Torsten Jahnel weiß, was das den Kindern bedeutet: «Das ist ein Erlebnis, das sie nicht alle Tage haben. Wenn sie es überhaupt schon mal erlebt haben, mit Live-Musikern auf einer Bühne zu stehen. Für unsere Kinder ist es auch ganz wichtig, dass sie involviert werden. Andererseits ist es für die Kinder auch sehr angenehm, mit anderen Erwachsenen zusammenarbeiten zu können.»
Als Beethoven Jahre später seine 9. und letzte Sinfonie schrieb, war er schon taub und hatte gelernt, Musik zu sehen – auf dem Notenblatt und in der Begeisterung seines Publikums. In Greifswald ist die 2. Sinfonie ein großes buntes Bild geworden.
Quelle: https://www.ndr.de/kultur/musik/klassik/Beethoven-fuer-Hoergeschaedigte,beethoven280.html