Ein Beitrag von Wissenschaft.de, der einem zum nachdenken bringt.
Still war es in den Meeren nie – doch der Mensch hat in fataler Weise am Regler gedreht: Eine umfassende Studie verdeutlicht nun, wie intensiv sich die marine Geräuschkulisse verändert hat und wie überraschend viele Tierarten von dem anthropogenen Unterwasserlärm bedroht werden. Die Forscher fordern Entscheidungsträger nun dazu auf, Maßnahmen zu ergreifen, um der zunehmenden Kakofonie in den Ozeanen entgegenzutreten. Wie sie aufzeigen, stehen dazu bereits praktikable Konzepte zur Verfügung.
Aus der Unterwasserwelt dringen normalerweise keine Geräusche an unsere Ohren – sie erscheint uns dadurch eher still. Doch das Gegenteil ist der Fall: Dort geht es recht laut zu, denn es gibt viele Geräuschquellen und das Wasser sorgt für eine weite Schallausbreitung. Wasserbewegungen, das Knirschen von Eis und andere Geräuschquellen bilden dabei die Komponente der sogenannten Geophonie. Hinzu kommt die Biophonie: Viele Meerestiere erzeugen Töne und besitzen auch die entsprechenden Hörfähigkeiten. Doch in diese natürliche Soundkulisse mischt sich immer mehr ein dritter Faktor: die Anthrophonie. Der Schiffsverkehr, Bauprojekte und viele weitere menschengemachte Geräuschquellen sorgen vielerorts für Getöse unter Wasser.
Schon lange warnen Experten, dass die Kommunikation des Lebens im Meer, durch den sich ausbreitenden Lärmteppich mehr und mehr gestört wird. Doch bisher erscheinen die Informationen dazu diffus. „Die verschiedenen Verhaltensweisen, die Tiere bei Lärm zeigen, machten es bislang schwierig, von Einzelbeobachtungen auf das Große und Ganze zu schließen und die Gefahren des Lärms umfassend zu bewerten“, sagt Ilse van Opzeeland vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Sie gehört zu den 25 internationalen Wissenschaftlern, die nun für mehr Klarheit in diesem Forschungsbereich gesorgt haben: Sie haben Hunderte von Studien mit Bezug zu Unterwassergeräuschen ausgewertet, um besser einschätzen zu können, wie der Mensch die marine Lautsphäre verändert hat, wie schlimm die Lärmverschmutzung tatsächlich ist und welche Meerestiere besonders betroffen sind.
Lauter, aber auch leiser
Es zeichnet sich ab, wie intensiv die Geräuschbelastung durch menschlichen Aktivitäten im Meer zugenommen haben. Allerdings haben wir nicht nur für mehr, sondern teilweise auch für weniger Geräusche gesorgt: Die Dezimierung der Walpopulationen und auch die Zerstörung von Lebensräumen wie Korallenriffen haben zu einem drastischen Rückgang der Anzahl der geräuschproduzierenden Tiere geführt. Wichtig ist dabei: „Die Geräuschkulisse des Ozeans ist eine der bedeutendsten Informationsquellen für Meerestiere“, sagt Co-Autor Andy Radford von der University of Bristol. Auch der Verlust des Meereises im Zuge des Klimawandels hat die natürliche Akustik der arktischen Meeresumwelt drastisch verändert, heben die Forscher hervor.
In ihrem Fokus standen allerdings vor allem die Auswirkungen der anthropogenen Geräuschquellen. Viele tausend Frachtschiffe und andere Wasserfahrzeuge machen sich lautstark bemerkbar. Dazu kommen die Sprengungen oder Rammschläge für Baumaßnahmen und die Rohstoffgewinnung, die viele Kilometer weit dröhnen und mittlerweile nicht mehr nur den Küstenraum betreffen. Aus den Auswertungen der Forscher geht deutlich hervor, wie stark diese Belastungen Meerestiere in ihrem Verhalten beeinflussen können: Sie werden vertrieben, bei der Nahrungssuche gestört oder verlieren sogar das Gehör. Davon sind nicht nur Meeressäuger wie Robben, Wale und Delfine betroffen, denn auch Fische, Krebse und andere Wirbellose verständigen oder orientieren sich ebenfalls durch Geräusche, betonen die Forscher.
Mehr Beachtung für die unsichtbare Verschmutzung!
Sie konnten zudem verdeutlichen, dass die Tonhöhen des Meereslärms zu einem großen Teil ausgerechnet in den Bereichen liegen, die für diese Tiere wichtig sind. Manche Störquellen lärmen auch über sehr weite Tonhöhen-Bereiche hinweg – von ganz tiefen bis zu sehr hohen Frequenzen. Dazu gehören vor allem kleine und große Schiffe, das rappelnde Fanggeschirr von Trawlern oder die Arbeiten auf Öl- und Gasplattformen, berichten die Forscher. „Dass zum Beispiel Schweinswale in der Nordsee bei Rammarbeiten in Windparks flüchten, wissen wir schon lange“, sagt van Opzeeland. „Die von uns ausgewerteten Studien verdeutlichen aber, dass noch ganz andere Tierarten auf Lärm reagieren – etwa Nesseltiere, zu denen Quallen gehören, und sogar Muscheln“, sagt die Forscherin. Dem Team zufolge wurde das Thema Meereslärm in der internationalen Meerespolitik im Vergleich zu Aspekten wie der Erwärmung, Ozeanversauerung oder der Plastikverschmutzung eher wenig beachtet. „Zwar haben Europa und einzelne Staaten das Thema Meereslärm auf ihrer Agenda, umfangreiche internationale Schutzbemühungen gibt es aber bisher nicht“, sagt van Opzeeland. Durch ihre Übersichtsstudie wollen die Wissenschaftler nun zu einer stärkeren internationalen Kooperation anregen, die effektive Maßnahmen zur Regulation der Lärmbelastung ermöglichen soll. „Natürlich lassen sich nicht alle Lärmquellen im Meer wie zum Beispiel der Ausbau der Windkraft und die Handelsschifffahrt komplett abstellen“, sagt van Opzeeland. „Dennoch lässt sich der Meereslärm durch verschiedene Maßnahmen sehr gut reduzieren.“
Einige sind bereits erfolgreich im Einsatz und sollten nun weitreichender Anwendung finden: In der Nord- und Ostsee legt man beispielsweise seit einiger Zeit Blasenschleier um die Windradbaustellen, die den Schall der Rammschläge dämpfen. Im östlichen Mittelmeer wiederum erreichte eine Geschwindigkeitsbegrenzung für Schiffe um rund zwei Knoten eine Reduzierung des Lärms um rund 50 Prozent. Und die Explosionen und Schüsse der Luftpulser bei der Rohstoffsuche lassen sich den Wissenschaftlern zufolge durch Geräte ersetzen, die vom Meeresboden aus ihre Vibrationen in die Tiefe schicken. „Wir wollen mit unserer Studie auch Hoffnung machen. Unsere Studie zeigt, wie ernst das Problem ist. Aber auch, dass man den Lärm vor allem durch internationale Zusammenarbeit bekämpfen kann“, sagt van Opzeeland abschließend.
Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, Fachartikel: Science, doi: 10.1126/science.aba4658