Welche Symptome zeigen, dass die Hörprobleme offenbar so groß sind, dass man etwas tun muss?
Typischerweise beginnen die meisten Schwerhörigkeiten in den hohen Frequenzen – also ganz rechts auf der Klaviertastatur. Diese hohen Frequenzen brauchen wir, um die Feinheiten in den Sprachsignalen zu erkennen. Fehlen sie und sind gleichzeitig Störgeräusche in der Umgebung, wird es schwierig, Sprache zu verstehen. Man hat zum Beispiel Mühe, sich in der Gaststätte zu unterhalten oder bei Geburtstagsfeiern einem Gespräch zu folgen.
Ein weiteres Zeichen ist, wenn sich der Partner wundert, wesahlb man immer das Radio bzw. den Fernseher so laut dreht. Oder wenn man beim Telefonieren immer mehr Probleme hat, den anderen zu verstehen. Ertappt man sich dabei, dass man in Gesprächen immer wieder nachfragt, und/ oder dem Gegenüber in einem Gespräch auf den Mund sieht, um in einer Umgebung mit Störgeräuschen besser zu verstehen, dann sind das untrügliche Zeichen für eine beginnende Schwerhörigkeit.
Im Internet gibt es Online-Hörtests. Was halten Sie davon?
Wir führen Hörtests in geräuschisolierten Räumen durch mit geeichter standardisierter Technik. Das, was an Software auf Mobiltelefonen angeboten wird, oder auch die Hörtests im Internet, die mit nicht standardisierten Kopfhörern durchgeführt werden, liefern keine zuverlässigen Ergebnisse. Wenn man Probleme mit dem Hören hat, sollte man den Hörtest lieber vom Hals-, Nasen-, Ohrenarzt durchführen lassen.
Wer merkt, dass beim Lesen die Buchstaben verschwimmen, kauft sich beim Optiker eine Lesebrille. Wer schlechter hört, kann zum Hörgeräteakustiker gehen und sich ein Hörgerät holen. Oder sollte man doch vorher lieber zum Arzt?
Der erste Gang sollte unbedingt zum HNO-Arzt führen. Denn es gibt verschiedene Ursachen für die Schwerhörigkeit: Probleme im Gehörgang oder am Trommelfell, chronische Entzündung der Ohren, die sogar unbemerkt ablaufen können und das Ohr über Jahre zerstören bis hin zu Tumoren des Ohres oder am Hörnerven. All das sind Dinge, die der Hörgeräteakustiker nicht erkennen kann. Er stellt nur die Hörstörung fest, nicht aber die Ursache und um welche Form der Schwerhörigkeit es sich handelt. Natürlich ist es so, dass bei den meisten Patienten eine Innenohrschwerhörigkeit im Zusammenhang mit dem Alter haben. Aber darauf kann man sich nicht verlassen. Besonders wenn man vor dem 60. Lebensjahr betroffen ist.
Stimmt es, dass man bei einer Schwerhörigkeit und bei entsprechender Diagnose nicht zu lange warten soll, bis man ein Hörgerät nutzt, weil es dann zu einer Hörentwöhnung kommen kann und das Hörgerät gar nicht mehr hilft?
Es gibt verschiedene Effekte, die eintreten können, wenn man schwer hört und kein Hörgerät nutzt. Wer merkt, dass er Gesprächen im Störgeräusch nicht mehr folgen kann, entwickelt ein Vermeidungsverhalten. Ein gutes Beispiel sind Verständigungsprobleme in der lauten Gaststätte oder bei der Geburtstagsfeier, wenn alle durcheinander reden. Das kann sogar zur sozialen Isolation und sogar zur Depressionen führen. Wenn ich nichts mehr höre, kann ich nicht mehr kommunizieren. Ich igle mich ein. Insofern ist Schwerhörigkeit eine Erkrankung, die eine große soziale Bedeutung hat.
Um an der Kommunikation teilzunehmen und auch geistig interaktiv zu bleiben, ist es wichtig, dass das Gehör normal funktioniert. Deswegen empfehle ich jedem, der merkt, dass er schwer hört, sich untersuchen zu lassen und ggf. in Behandlung zu begeben. Jeder sieht ein, dass er eine Brille braucht, wenn er schlechter sieht. Bei einem Hörgerät aber fühlen sich viele stigmatisiert. Ein Hörgerät wird mehr mit dem Alter verbunden als eine Brille. Inzwischen gibt es aber so gute technische Lösungen, dass man die Hörgeräte kaum noch sieht – auch das berühmte Rückkopplungspfeifen ist kaum noch zu hören. Für besondere Fälle gibt es sogar impantierbare Hörgeäte, die gar nicht mehr zu sehen sind.
Die Entwöhnung, die Sie ansprechen, spielt natürlich auch eine Rolle. Es fällt Patienten viel schwerer, sich an ein Hörgerät zu gewöhnen, wenn sie jahrelang schon schwerhörig waren und sich daran in gewissen Grenzen gewöhnt haben. Sie empfinden – wenn sie dann ein Hörgerät haben und es einschalten – alles, was sie dadurch hören, oftmals als störend. Weil sie eben plötzlich z.B. ihre eigenen Körpergeräusche wieder wahrnehmen, weil sie den Straßenverkehr viel lauter hören. Ich glaube, dass es viel leichter fällt, sich an ein Hörgerät zu gewöhnen, wenn man seine Hörprobleme nicht negiert, sondern frühzeitig zum Arzt geht und ein erforderliches Hörgerät dann auch trägt.
Quelle: http://www.dnn.de/Mehr/Gesundheit/Fit-Gesund/Mit-ihrem-Gehoer-gehen-viele-Menschen-nachlaessig-um