Leipzig – Ein Stuhl, eine Teetasse, ein Herbstblatt: Das menschliche Gehirn benötigt lediglich ein Set von 49 Kernmerkmalen, um die meisten Dinge in der Umwelt zu erkennen und zuzuordnen.
Das berichten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig zusammen mit Forschern des National Institute of Mental Health in Bethesda, USA. Ihre Arbeit ist im Fachmagazin Nature Human Behaviour erschienen ( Nat Hum Behav, 2020; DOI: 10.1038/s41562-020-00951-3). „Wir leben in einer Welt voller Dinge, die wir identifizieren und in verschiedene Kategorien einordnen müssen. Nur so können wir miteinander kommunizieren und entsprechend sinnvoll handeln“, schreiben die Forscher. Dazu zerlege das Gehirn ein Objekt in seine einzelnen Eigenschaften, gleiche diese mit bereits Bekanntem ab und setze die Eigenschaften danach wieder zusammen.
Je nachdem, wie ähnlich das Betrachtete einer bekannten Kategorie sei, werde es dann als Möbelstück oder Gefäß erkannt. Bislang ist laut den Forschern jedoch unklar, wodurch Menschen Dinge als ähnlich oder weniger ähnlich betrachten – welche Eigenschaften es also sind, die das Gehirn für die Erkennung verwendet.
Die Wissenschaftler verwendeten in der Studie rund 2.000 Bildern, die Objekte zeigten, die repräsentativ für Gegenstände aus unserer Umgebung sind. Den Studienteilnehmern zeigten sie jeweils 3 der Bilder gleichzeitig, zum Beispiel Koala, Hund und Fisch, aber auch Koala, Türvorleger und Brezel. Daraus sollten die Teilnehmer jeweils eines auswählen, das sie als unterschiedlicher wahrnehmen als die anderen beiden
„In letzterem Falle war das für die einen möglicherweise der Koala, weil er im Gegensatz zu den anderen beiden ein Lebewesen ist oder als ‚nicht flach‘ betrachtet wird. Für andere könnte das die Brezel gewesen sein, weil Türvorleger und Koala flauschig sind oder man nur die Brezel essen kann. Für wieder andere mag es der Türvorleger sein, weil dieser aus anorganischem Material besteht“, so die Forscher. Die Antworten waren also nicht immer eindeutig.
Die Forscher testeten mithilfe von knapp 5.500 Teilnehmern fast 1,5 Millionen Dreierkombinationen. Daraus entwickelten sie ein Computermodell, nach dem sie berechnen konnten, welches Objekt Menschen am wahrscheinlichsten in der jeweiligen Kombination aussortieren. „Je häufiger 2 Objekte drin bleiben, desto ähnlicher sind sie sich“, so die These.
Freiburg – Eine Freiburger Arbeitsgruppe um Monika Schönauer will in den kommenden sechs Jahren an der Frage forschen, wie und wo Erinnerungen und Lerninhalte im Gehirn gespeichert werden.
„Erfahrungen hinterlassen Spuren im Gehirn, sogenannte Gedächtnisengramme. Durch bildgebende Methoden ist es inzwischen möglich, das Engramm bei Menschen und Tieren zu orten und seine Entwicklung zu verfolgen“, erläuterte die Wissenschaftlerin. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert die Arbeit mit mehr als 1,3 Millionen Euro. Damit neu gebildete Erinnerungen oder Lerninhalte erhalten bleiben, müssen sie sich im Langzeitgedächtnis verfestigen und dauerhaft gespeichert werden. Dazu müssen die Gedächtnisinhalte sich im Neokortex verfestigen und unabhängig vom Hippokampus werden.
„Wir gehen davon aus, dass eine sich wiederholende Aktivierung neuronaler Netzwerke im Neokortex eine entscheidende Rolle dabei spielt, beispielweise durch wiederholtes Lernen im Wachzustand oder durch Reaktivierung im Schlaf“, so Schönauer. Die bislang gängige Meinung sei, der Neokortex würde nur langsam lernen. Dagegen zeigten neuere Studien, dass Gedächtnisspuren nicht nur im Hippokampus, sondern auch im Neokortex schon frühzeitig gebildet werden könnten.
Zusammen mit ihrem Team will Schönauer unter anderem feststellen, wann sich Gedächtnisspuren im Neokortex bilden und ob diese zeitlich versetzt zu denen im Hippokampus entstehen. Darüber hinaus wollen die Wissenschaftler prüfen, ob solche frühzeitig gebildeten Gedächtnisspuren im Neokortex inhaltlich Aufschluss über zuvor Gelerntes geben können.
Leipzig – Musik zu machen, erfordert ein komplexes Zusammenwirken verschiedener Fähigkeiten, das sich in ausgeprägten Hirnstrukturen widerspiegelt. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig haben nun herausgefunden, dass sich diese Fähigkeiten viel feinabgestimmter im Gehirn zeigen, als bisher angenommen – und sich sogar je nach Stilrichtung des Musikers unterscheiden. Ihre Arbeit ist in der Fachzeitschrift Neuroimage erschienen (2017; doi: 10.1016/j.neuroimage.2017.12.058). Danach laufen bei Jazzpianisten andere Hirnprozesse ab als bei klassischen Pianisten, selbst wenn sie das gleiche Musikstück spielen.
Für ihre Studie untersuchten die Forscher 30 professionelle Pianisten, die Hälfte davon seit mindestens zwei Jahren spezialisiert auf Jazz, die andere auf klassische Musik. Diese bekamen auf einem Bildschirm eine Hand zu sehen, die eine Abfolge von Akkorden auf einem Klavier spielte, gespickt mit gezielten Stolperfallen in den Harmonien und den Fingersätzen. Die Profipianisten sollten es dem Vorbild auf dem Bildschirm nachtun und entsprechend flexibel auf die Unregelmäßigkeiten reagieren, während ihre Hirnsignale mit EEG-Sensoren auf ihrem Kopf erfasst wurden. Um dabei Störsignale wie akustische Signale auszuschließen, lief das Ganze ohne Töne als stummes Klavierspiel ab. „Wir konnten die bei Jazzpianisten trainierte Flexibilität beim Planen von Harmonien während des Klavierspiels auch im Gehirn sehen“, erklärte Roberta Bianco, Erstautorin der Studie. Als die Jazzmusiker während einer logischen Abfolge von Akkorden plötzlich einen harmonisch unerwarteten Akkord spielen mussten, begann ihr Gehirn laut dem EEG-Befund früher die Handlung umzuplanen als das klassischer Pianisten.
Entsprechend schneller konnten sie auch auf die unerwartete Situation reagieren und ihr Spiel fortsetzen. Aber als es darum ging, ungewöhnliche Fingersätze zu nutzen, hatten die klassischen Pianisten die Nase vorn: In dem Falle zeigte ihr Gehirn stärkere Aufmerksamkeit für den Fingersatz und entsprechend weniger Fehler unterliefen ihnen bei der Nachahmung.
Göttingen/Berlin – Nervenzellen könne die zeitliche Abfolge akustischer Signale nur dann verarbeiten, wenn sie mit bestimmten myelinbildenden Gliazellen zusammenarbeiten. Das berichten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für experimentelle Medizin in Göttingen und der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Ihre Arbeit ist in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen (DOI: 10.1038/s41467-020-19152-7). Die Wissenschaftler untersuchten in ihrer Arbeit die Rolle des Myelins – einer von sogenannten Oligodendrozyten gebildeten elektrischen Isolierung der Axone. Die Gliazellen erhöhen über die Myelinbildung die Nervenleitgeschwindigkeit. Darüber hinaus versorgen die Oligodendrozyten die Nervenzellen mit Energie in Form von Laktat. Die Wissenschaftler um Livia de Hoz und Klaus-Armin Nave haben für ihre Studie die neuronale Aktivität der für das Hören spezialisierten Hirnrinde in genetisch veränderten Mäusen gemessen, die unterschiedliche Mengen an Myelin produzieren.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass weniger Myelin mit geringerer Nervenzellaktivität auf wiederholte akustische Reize einher geht“, erläutern die Wissenschaftler. Es zeigte sich auch, dass die Nervenzellen der Mäuse mit weniger oder keinem Myelin kurze Pausen innerhalb eines langanhaltenden Tons schlechter identifizieren konnten. Beim Menschen ist diese Fähigkeit zum Beispiel eine wichtige Voraussetzung für die Spracherkennung. Die Arbeitsgruppe ergänzte ihre elektrophysiologischen Experimente durch Lern- und Verhaltensstudien. Ähnlich wie bei der neuronalen Aktivität zeigte sich auch hierbei, dass die genetisch veränderten Mäuse mit wenig oder keinem Myelin die in langen Tönen eingebetteten Pausen nicht als solche wahrnehmen konnten.
„Myelin ist unabhängig von der eigentlichen Nervenleitgeschwindigkeit wichtig, damit Nervenzellen die zeitliche Abfolge akustischer Reize korrekt entschlüsseln können“, erläutert Nave.
Aber welcher besondere Aspekt der Oligodendrozytenaktivität ist für die Erkennung und Trennung der akustischen Reize entscheidend? Die Forschenden untersuchten zur Beantwortung dieser Frage eine dritte Mausmutante, bei der lediglich die Energiezufuhr von Gliazellen zu den Axonen verringert ist, die ansonsten aber normale Myelinwerte aufweist. Diese Tiere zeigten die gleichen Defizite der zeitlichen Kodierung akustischer Signale.
Aktueller Wissensstand und Bedeutung für HNO-Ärzte; Ein Fortbildungsartikel der HNO-Nachrichten 2020. Geschrieben von Dr. med. Anna Buadze, Dr. med. Pascal Burger, Dr. rer. nat. Alexandra Kupferberg und Prof. Dr. med. Gregor Hasler.
Hörstörungen entpuppen sich manchmal als Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Diese Erfahrung haben schon viele HNO-Ärzte gemacht. Deswegen sollten sie in der Lage sein, die Symptome einer ADHS von einer reinen Hörstörung oder einer Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung oder einer Rechtschreib- sowie Sprachentwicklungsstörung zu unterscheiden. Gegebenenfalls empfiehlt sich dann eine Überweisung an einen Psychiater, bei dem die weiterführende Diagnostik, Beratung und Behandlung erfolgen kann.
Schlechte schulische Leistungen? Kinder mit Hörverlust zeigen oft ähnliche Probleme wie die mit ADHS.
Wenn Kinder „nicht zuhören“ oder verzögert reagieren, wenn sie angesprochen wurden, liegt der Verdacht auf eine Hörstörung nahe. Meistens suchen besorgte Eltern einen HNO-Arzt auf. Manchmal ergibt die pädaudiologische Untersuchung dann aber keine auffälligen Befunde. In diesem Fall sollte der HNO-Arzt, insbesondere bei ausgeprägter motorischer Unruhe des Kindes sowie mangelnder Konzentration und Ausdauer, nicht nur an eine Schwerhörigkeit, sondern auch an eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) denken. Tatsächlich zeigen Kinder, die mit nicht diagnostiziertem Hörverlust kämpfen, oft ähnliche Probleme wie Kinder mit ADHS: unzureichende schulische Leistungen, Schwierigkeiten beim Aufrechterhalten der Aufmerksamkeit oder Konflikte in sozialen Beziehungen. In einigen Fällen ist ein Kind von ADHS und Schwerhörigkeit betroffen. Es ist wichtig, die Gründe für die schlechten schulischen Leistungen oder die fehlende Aufmerksamkeit genau zu bestimmen, um eine Fehldiagnose von ADHS und die damit verbundenen Konsequenzen zu vermeiden.
Erschwertes Sprachverstehen bei Hintergrundgeräuschen
Die Fähigkeit, Sprache während der täglichen Kommunikation präzise zu verarbeiten, ist komplex und hängt ab von einer intakten Hörfähigkeit und gesunden kognitiven Funktionen wie der angemessenen Zuteilung von Aufmerksamkeitsressourcen und der gleichzeitigen Manipulation und Aufrechterhaltung der auditorischen Information durch das Arbeitsgedächtnis [1]. Üblicherweise erreicht die Sprache im normalen Gespräch durch das auditorische System mit 140 bis 180 Wörtern pro Minute das Gehirn [2]. Die auditorische Information wird kodiert und zur weiteren Verarbeitung an die kortikalen Bereiche weitergeleitet, woraufhin die phonologische Analyse und lexikalische Identifizierung erfolgen. Komplexe Hörbedingungen mit Hintergrundgeräuschen oder mehreren Sprechern machen den normalerweise automatischen Prozess der Dekodierung und lexikalischen Extraktion von Informationen, die zum Verstehen gesprochener Worte und zur Erkennung von Klangunterschieden benötigt werden, aufwendig [3, 4, 5]. Es werden mehr kognitive Ressourcen wie Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis benötigt. Bei mehreren Sprechern muss der Zuhörer seine Aufmerksamkeit auf mehrere Schallquellen aufteilen und gleichzeitig mehrere auditive Informationen verarbeiten, während das Arbeitsgedächtnis benötigt wird, um das Gehörte präsent zu halten und gleichzeitig Repräsentationen im Langzeitgedächtnis zu aktivieren [6].
Es ist also nicht verwunderlich, dass ein überlastetes Arbeitsgedächtnis [7, 8, 9] als mögliche Ursache für eine gestörte Unterdrückung von ablenkenden Reizen diskutiert wurde [10]. In der Tat gibt es empirische Belege für eine starke Korrelation zwischen Messungen der Arbeitsgedächtniskapazität und der Spracherkennung im Lärm [6, 11].
Aufgrund von Aufmerksamkeitsproblemen haben Kinder mit ADHS Schwie rigkeiten, sich auf die relevanten auditorischen Stimuli zu konzentrieren, insbesondere, wenn Hintergrundgeräusche vorhanden sind. Darüber hinaus gelingt es ihnen nicht, sich in Gegenwart „interessanterer“ auditorischer und/oder visueller Umgebungsreize – wie zum Beispiel Flüstern, Bewegung im Raum oder auch Verkehrslärm beim offenen Fenster – auf die relevanten auditorischen Stimuli zu fokussieren, ihre Aufmerksamkeit wird leicht von der eigentlichen Aufgabe abgelenkt [12]. Ein Grund für diese scheinbare Ablenkbarkeit könnte die verringerte Fähigkeit sein, Stimuli zu hemmen, die für die aktuelle Aufgabe irrelevant sind [10], und sich ausschließlich auf die relevanten akustischen Zielsignale zu konzentrieren [13]. Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass bei Kindern mit ADHS aufgabenirrelevante neuartige Umgebungsgeräusche die Leistung bei einer visuellen Diskriminationsaufgabe stärker einschränken als bei gesunden Kontrollpersonen [14].
Andere Studien haben einen negativen Effekt irrelevanter Geräusche auf die serielle Gedächtnisleistung bei ADHS im Vergleich zu Kontrollteilnehmern [15] sowie eine Überempfindlichkeit gegen über lauten Geräuschen gezeigt [16, 17]. Darüber hinaus machten Kinder mit ADHS im Vergleich zu Kontrollgruppen von Kindern ohne ADHS bei Aufmerksamkeitstests mehr Fehler, wenn sie durch kombinierte visuelle und auditive Stimuli abgelenkt wurden [18]. Bei akademischen Aufgaben wie beim Lesen und Schreiben berichteten junge Erwachsene mit ADHS, denen Klassen zimmergeplapper als Hintergrundgeräusch präsentiert wurde, über signifikant höhere Schwierigkeiten im Vergleich zu ruhigen Bedingungen [19].
Eine andere Studie hat eine stärkere Abnahme der Leistungsgenauigkeit bei einer auditorischen Diskriminationsaufgabe (Unterscheidung von Tierlauten) durch aufgabenirrelevante Geräusche bei Kindern mit ADHS im Vergleich zu Kontrollgruppen gezeigt [20]. Eine mangelhafte Inhibition wird durch die mangelhafte exekutive Kon trolle erklärt. Diese Kontrollprozesse sind notwendig, um gleichzeitig den pho nologischen Input aufrechtzuerhalten, ir relevante akustische Informationen zu ig norieren und visuelle Sprachhinweise zu integrieren, damit die genauen sprachli chen Darstellungen aus dem Langzeitge dächtnis abgerufen werden können [21]. So nutzen junge Erwachsene mit ADHS in Gegenwart von störenden Hinter grundgeräuschen weniger audiovisuelle Hinweise zur Sprachverarbeitung als ge sunde Kontrollpersonen [22]. Die Schwierigkeiten, in einer lauten Umgebung den Gesprächspartner gut zu verstehen, führen dazu, dass Betroffene Details verpassen. Bei Kindern werden dieselben Mängel häufig als oppositio nelles Verhalten empfunden, wenn eine Bitte nicht gehört wird. Bei Erwachse nen können Kommunikationsprobleme zu Schwierigkeiten mit Ehepartner und Familie führen [23, 24]. Obwohl Kinder mit ADHS im Vergleich zu Kontrollgruppen Gesunder als anfälliger für Ablenkungen durch Hintergrundgeräusche gelten, konnte auch gezeigt werden, dass Studienteilnehmer mit ADHS unter bestimmten Umständen sogar einen Vorteil durch Lärm und andere aufgabenirrelevante Geräusche, die gleichzeitig mit der Zielaufgabe präsentiert wurden, gewinnen konnten. Beispielsweise wurden Kinder mit ADHS nicht durch Hintergrundmusik abgelenkt, sondern zeigten stattdessen eine Verbesserung beim Lösen einer Rechenaufgabe [25].
Darüber hinaus konnte ein weißes Rauschen (Rauschen mit einem kon stanten Leistungsdichtespektrum in ei nem bestimmten Frequenzbereich) die Leistung bei einer FreeRecallAufgabe verbessern. Weißes Rauschen wird als ein stark höhenbetontes Geräusch emp funden. Weißes, in der Bandbreite be schränktes Rauschen wird in den Ingenieur und Naturwissenschaften häufig verwendet, um Störungen in einem sonst idealen Modell abzubilden, um etwa zufällige Störungen in einen Übertragungskanal zu beschreiben [26].
So scheint die Maskierung mit weißem Rauschen oder Musik in der Tat einen positiven Effekt auf die Aufmerksamkeitsleistung zu haben, wenn die Maskierung die negativen Auswirkungen anderer konkurrierender Geräusche, wie beispielsweise potenziell ablenkende Stimmen in der Umgebung, übertönt und es ermöglicht, sich effizienter auf die Aufgabe zu konzentrieren. In einer Studie wurde gezeigt, dass ein bedeutungsfreier Lärm mit einer Lautstärke von 65 bis 80 dB den maximal positiven Effekt für die Konzentration bietet. Bei einem Geräuschpegel von 70 dB konnten Kinder mit ADHS schneller schreiben und lesen als in einer ruhigen Umgebung oder bei leisen Hintergrund geräuschen [27].
Pharmako- und Verhaltenstherapie als Behandlungsansatz
Leitlinien zur ADHS-Therapie bei Kindern und Jugendlichen empfehlen eine multimodale Behandlung einschließlich Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie [28]. Der Standardansatz zur Behandlung der schlechten auditorischen Verarbeitungsleistung bei ADHS ist die Verwendung von stimulierenden Medikamenten (Methylphenidat und Dexamphetamin) [29]. Obwohl diese Medikation einen positiven Effekt auf die Linderung von ADHS-Symptomen aufweist und die Akzeptanz von Hintergrundgeräuschen erhöhen könnte [30], gibt es Einschränkungen. Eine davon ist die allgemeine Verstärkung der neurokognitiven Funktionen durch Medikamente [31].
Weiterhin zeigen Medikamente nur geringe Effekte auf die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten [32], und führen in einigen Fällen sogar zu einer gesteigerten Ablenkbarkeit [33]. Ein ungenügendes Ansprechen [34] sowie unerwünschte Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit und Appetitlosigkeit [35] führen dazu, dass etwa 20% der Personen mit ADHS die Einnahme von Stimulanzien innerhalb des ersten Jahres nach der Einnahme einstellen [36].
Tab. 1: Übersicht der Übungsarten der KOJ-Gehörtherapie
Trainierte Fähigkeiten
Beispielübungen
einfaches Sprachverstehen
Erkennen von Toncharakteristika, Verstehen von Zahlen und Silben, Verstehen von einsilbigen und zweisilbigen Wörtern
akustische Lokalisation
Erkennen, aus welcher Richtung die Stimuli kommen, wenn zwei verschiedene Wörter jeweils von rechts und links zeitgleich ertönen
auditives und visuelles Gedächtnis
Hörmemory – Paare von akustisch präsentierten Wörtern finden
Merken von sinnfreien Silbenfolgen
Silben sortieren und zu einem Wort zusammenfügen
Zahlen und Wörter merken (vorgegebene Reihenfolge und
rückwärts)
Hören von Passagen aus Hörbüchern mit anschließender
sofortiger und verzögerter Beantwortung von Fragen, die sich auf den Inhalt beziehen
auditive Analyse
Verstehen schneller Sprache und unterschiedlicher Dialekte
akustische Separation
Verstehen von zwei gleichzeitig gesprochenen Wörtern
akustische Selektion
Verstehen von einer Stimme und Ausblenden einer anderen bei zwei gleichzeitig sprechenden Personen
auditive Aufmerksamkeit
Detektion von bestimmten Wörtern in einem längeren gesprochenen Text
Bedeutung kognitiven Trainings bei ADHS
Es wird angenommen, dass das kognitive Training die ADHS-Symptomatik reduzieren und die Funktionsfähigkeit verbessern kann, indem es neuropsychologische Defizite mindert, die den Symptomen zugrundeliegen [37]. Man geht davon aus, dass aufgrund der Plastizität des Gehirns das kognitive Training wesentliche Hirnnetzwerke stärkt und ent- wickelt [38] und zugrundeliegende kognitive Prozesse in Gang setzt, indem das Gehirn gut definierten Lernaufgaben ausgesetzt wird [37, 39].
In Übereinstimmung mit der komplexen Natur der Neuropsychologie bei ADHS zielen die in den kognitiven Trainings vorgestellten Aufgaben darauf ab, eine Fülle von Fähigkeiten wie Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit, inhibitorische Kontrolle, Planung und Verarbeitungsgeschwindigkeit zu verbessern. Das Training kann am Computer oder mit Stift und Papier präsentiert werden. Dabei ist es wichtig, den Teilnehmer engagiert und motiviert zu halten und auf einem Niveau zu üben, das seinen aktuellen Fähigkeiten entspricht oder leicht darüber liegt [40, 41]. Das Training ist außerdem adaptiv. Das bedeutet, die Schwierigkeit der Aufgabe wird an die Leistung des Teilnehmers angepasst.
Studien konnten zeigen, dass computergestütztes Training, das insbesondere auf die Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses ausgerichtet war, zu einer Verringerung der von den Eltern bewerteten aufmerksamkeitsbezogenen Symptome von ADHS [42] und zu einer Verbesserung der Sprachwahrnehmung bei gleichzeitigem Lärm führen kann [43, 44, 45]. Es konnten jedoch keine Verbesserungen in anderen Bereichen der allgemeinen Funktionalität [46], der schulischen Leistungen, des Verhaltens im Unterricht oder der Lebensqualität fest- gestellt werden [47].
Eine weitere Studie zeigte eine Verbesserung der inhibitorischen Kontrolle und der Ausprägung der allgemeinen ADHS-Symptome bei Kindern nach der Verwendung eines neuartigen computergestützten Trainingsprogramms, in welchem die adaptive Unterdrückung von auditiven und visuellen Distraktoren (ablenkenden Stimuli) trainiert wurde [48]. Eine aktuelle Metaanalyse von 14 Studien [49], die Effekte des kognitiven Trainings bei ADHS untersuchten, zeigte positive Ergebnisse in Bereichen Aufmerksamkeit [47, 50, 51, 52, 53], Arbeitsgedächtnis [47, 52, 54, 55], Inhibition [47, 50, 51, 52, 54, 56], visuell-räumliches Kurzzeitgedächtnis [50, 54], verbales Kurzzeitgedächtnis [50], Aufmerksamkeitskontrolle [57], Verarbeitungsgeschwindigkeit [58] und logisches Denken [50].
KOJ-Gehörtherapie als auditorisches kognitives Training
Die gängigsten computerbasierten auditorischen Trainingsprogramme verfolgen das Ziel, kognitive Fähigkeiten zu schulen, die für das Sprachverstehen eine grundlegende Rolle spielen. So können vor allem das Hören und Verstehen in schwierigen Situationen, etwa bei gleichzeitigem Hintergrundgeräusch oder Störlärm, systematisch trainiert werden. Parallel dazu werden wichtige kognitive Funktionen wie die Aufmerksamkeit, das Arbeitsgedächtnis, exekutive Funktionen und Verarbeitungsgeschwindigkeit trainiert, deren Verbesserung sich positiv auf allgemeine ADHS-Symptome auswirkt.
Das am besten wissenschaftlich erforschte auditorische Training LACE (Listening and Communication Enhancement) wurde von der Firma NeuroTone entwickelt, ist jedoch nur in englischer Sprache erwerbbar. Im deutschsprachigen Raum hat sich die KOJ-Gehörtherapie etabliert, die vom „KOJ Hearing Research Center“ entwickelt wurde. Das Training umfasst 40 Einheiten mit einer täglichen Trainingszeit von 30 bis 40 Minuten pro Lektion. Idealerweise sollte das Training innerhalb von zwei Monaten absolviert werden. Jede Lektion besteht aus bis zu sieben Übungen von jeweils drei bis fünf Minuten Dauer, die der Patient bei sich zu Hause durchführt. Insgesamt gibt es 20 verschiedene Übungstypen, in denen verschiedene Aspekte der Sprachwahrnehmung trainiert werden. Diese Übungen sind zudem darauf ausgelegt, Defizite in kognitiven Kernbereichen wie selektive Aufmerksamkeit, auditives Arbeitsgedächtnis und Unterdrückung störender auditiver Informationen zu trainieren.
Die KOJ-Gehörtherapie besteht aus adaptiven Trainingsmodulen. Der Schwierigkeitsgrad während jeder Trainingssitzung wird kontinuierlich entsprechend der Leistungsfähigkeit der Versuchsperson angepasst, indem der Pegel der Hintergrundgeräusche beim nachfolgenden Versuch erhöht wird (umgekehrt nimmt der Pegel der Hintergrundgeräusche nach nicht erfolgreichen Versuchen ab). So kann das Signal- Rausch-Verhältnis von 65dB (starkes Hintergrundrauschen) bis – 5 dB (kein Hintergrundrauschen) variiert werden. Darüber hinaus werden die Übungen im Laufe des Trainings immer anspruchs- voller (längere Listen von Wörtern, die man sich merken muss, mehr fehlende Wörter, die ergänzt werden müssen, Fragen mit freier Antwort versus Multiple- Choice-Fragen). Einen Überblick überverschiedene Trainingsmodalitäten und Übungsarten bietet Tab. 1.
Zu den Aufgaben dieser Gehörtherapie gehören unter anderem das Verstehen von einfachen Wörtern aus einem Satz mit und ohne Hintergrundgeräusch, das Fokussieren auf eine Stimme, während eine andere Stimme gleichzeitig ertönt, oder das Erkennen von Alltagsgeräuschen. Ebenfalls werden das Verstehen von Hörbüchern und das auditorische Gedächtnis trainiert. In einigen Aufgaben des Trainings wird auch die Verarbeitungsgeschwindigkeit trainiert. Sie wird durch die Zeit definiert, die eine Person benötigt, um eine kognitive Aufgabe durchzuführen und hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der eine Person erhaltene Information verstehen und darauf reagieren kann. Die Versuchspersonen müssen zum Beispiel bei einem laufenden Timer bestimmte auditorische und visuelle Aufgaben lösen. Das gesamte KOJ-Training ist so konzipiert, dass die Schwierigkeit der Aufgaben und die Lautstärke des Störgeräusches schrittweise gesteigert werden. Wenn also eine Aufgabe fehlerfrei erledigt wurde, wird die nächste Aufgabe schwieriger sein und umgekehrt. Auf diese Weise wird das Training an die Bedürfnisse jedes Einzelnen genau angepasst und Langeweile als auch Frustration wer- den minimiert. Die Entwicklung jedes Patienten während des Trainings wird erfasst und genau überwacht. Mehrmals pro Monat werden Zwischentests zur Kontrolledurchgeführt.
Obwohl es bisher keine evidenzbasierte Literatur zur Bewertung der KOJ-Gehörtherapie gibt, ergab eine in eigenen Räumlichkeiten durchgeführte Pilotstudie ein um bis zu 87% besseres Sprachverständnis bereits nach vier Wochen. Die Messung des Sprachverständnisses wurde mit einem Test durchgeführt, bei dem die Personen mit und ohne Störgeräusch Konsonanten in auditorisch präsentierten Silben identifizieren mussten (sogenannte Phonemmessung). Der Vorteil der Verwendung von einfachen Silben in der Phonemmessung gegenüber den gängigen Sprachtests wie dem Freiburger Sprachtest [59] und dem Oldenburger Satztest [60], in welchen Wörter und Sätze identifiziert werden müssen, lag darin, dass man bei sinnfreien Silben den richtigen Konsonanten nicht erschließen konnte, sondern genau zuhören musste.
Zukünftige Studien
Das kognitive auditorische und audiovisuelle Training stellt eine effektive Intervention für Kinder und Erwachsene mit ADHS dar und kann als Ergänzung zur medikamentösen Therapie dienen [49]. Dennoch sollten die Schlussfolgerungen wegen wichtiger methodischer Fragen bei den oben vorgestellten Studien mit Vorsicht interpretiert werden. Die bereits verfügbaren Ergebnisse rechtfertigen jedoch weitere Untersuchungen, welche die Wirksamkeit der kognitiven Trainingsprogramme für die Milderung der ADHS-Symptome bewerten. Aus diesem Grund plant das „KOJ HearingResearch Center“ in Kooperation mit der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich die Durchführung einer randomisierten kontrollierten Studie, in welcher die klinische Wirksamkeit der KOJ-Gehörtherapie für die Verbesserung des Sprachverstehens vor allem bei anspruchsvollen Bedingungen wie Lärm oder konkurrierenden Sprechern untersucht werden soll.
Fazit
Sollten sich die positiven Effekte des auditorischen Trainings auf das Sprachverstehen und andere kognitive Funktionen in zukünftigen Studien bestätigen, könnte die KOJ-Gehörtherapie bei ADHS als Ergänzung zur psychotherapeutischen und medikamentösen Behandlung eingesetzt werden. Neben den klassischen Hörtests und Speech-in-Noise-Tests kann es für die Diagnostik von Hörstörungen auch von Vorteil sein, ADHS-Screenings wie die Wender Utah Rating Scale (WURS-k) [61] einzusetzen. Denn genau wie schwerhörige Kinder reagieren Kinder mit ADHS auf Anfragen oft erst, wenn diese wiederholt werden [62]. Im Gegensatz zu Kindern mit Hörstörung, die „immer“ Probleme mit dem Sprachverstehen aufweisen, berichten die Eltern der Kinder mit ADHS häufig über ein wechselhaftes Hörvermögen im Alltag. Eine Abgrenzung zwischen den beiden Diagnosen besteht zudem darin, dass ein Kind mit Hörverlust wahrscheinlich eine Verzögerung in der Sprachentwicklung aufweist, während ein Kind mit ADHS relativ normale Meilensteine in der Sprachentwicklung erreicht.
Literatur und Autoren
Das Quellenverzeichnis ist als Zusatzmaterial online unter www.springermedizin.de/hno-nachrichten abzurufen.
Dr. rer. nat. Alexandra Kupferberg
Universität Freiburg
Abteilung Medizin
Chemin du Cardinal-Journet 3
1752 Villars-sur-Glâne
Freiburg
E-Mail: a.kupferberg@khrc.info
Dr. med. Anna Buadze
Dr. med. Pascal Burger
Spezialambulatorium für ADHS der
Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich
Lenggstrasse 31, 8032 Zürich, Schweiz
Prof. Dr. med. Gregor Hasler
Freiburger Netzwerk für psychische Gesundheit
L‘Hôpital 140, 1633 Marsens, Schweiz
Ein Artikel von Dr. Aleksandra Kupferberg, Dr. Pascal Burger, Dr. Matteus Vischer, Dr. Elke Kalbe, Dr. Nicolai Berardi, Dr. Camillo Amodio, Dr. Stefan Hegemann und Dr. Sascha Frühholz; Fachzeitschrift Hörakustik (2020).
Bei älteren Menschen lässt häufig das Sprachverständnis in lauter Umgebung nach. Gründe für diese Altersschwerhörigkeit beziehungsweise Presbyakusis scheinen offensichtlich nicht nur degenerative Veränderungen am Hörorgan selbst, sondern oft auch altersbedingte Abbaupro zesse im Gehirn zu sein, die sich auf das Gedächtnis, die Verarbeitungsgeschwindigkeit und die Aufmerksamkeit negativ auswirken. Die Versorgung mit einem Hörgerät, das nur als Verstärker wirkt, führt deshalb nicht immer sofort zur Lösung des Problems. Daher kann begleitend ein aktives kognitives Training zielführend sein. Auch nach einer Cochlea-Implantation kann ein kognitives computerbasiertes Training als Rehabilitationsmaßnahme eingesetzt werden.
Was hat das Sprachverstehen mit der Kognition zu tun?
Es gibt Hinweise darauf, dass ältere Menschen mit Hörverlust ein schlechteres Sprachverstehen haben als junge Erwachsene mit ähnlichen Ergebnissen in der Reintonaudiometrie (Cardin 2016, Wingfield et al. 2005). Der Grund dafür könnte darin liegen, dass die kognitiven Funktionen mit dem Altern nachlassen. Bei einem intakten Gehör findet beim Hören von Sprache in einer ruhigen Umgebung der Vergleich zwischen den ein gehenden neuronalen Aktivitätsmustern und den entsprechen den gespeicherten Repräsentationen automatisch, das heißt Silbe für Silbe, statt und erfordert nur wenige kognitive Ressourcen. Beim Hören von Sprache in einem verrauschten Hintergrund werden, vor allem im Fall eines beeinträchtigten Gehörsystems, die eingehenden neuronalen Aktivitätsmuster verzerrt, sodass die Übereinstimmung mit gespeicherten Re präsentationen möglicherweise nicht mehr eindeutig ist (Le sica 2018). Diese Verzerrungen finden auch nach einer Hörgeräteversorgung oder Versorgung mit einem Cochlea Implantat (CI) statt und beanspruchen große kognitive Anstrengung beim Sprachverstehen. Während Zuhörer mit intakter kognitiver Funktion in der Lage sind, diese Verzerrungen zu kompensie ren, kann es zu Problemen bei denjenigen mit einer Reduktion der kognitiven Verarbeitungsgeschwindigkeit kommen. Wenn die Übereinstimmung zwischen eingehenden neuronalen Aktivitätsmustern und gespeicherten Repräsentationen nicht eindeutig ist, werden verstärkt kognitive Prozesse in Gang ge setzt: Sogenannte Exekutivfunktionen richten die selektive Aufmerksamkeit auf den Sprecher des Interesses und weg von anderen Geräuschen, um Störungen durch Hintergrundgeräusche zu reduzieren; das Arbeitsgedächtnis speichert neuronale Aktivitätsmuster für einige Sekunden, sodass Informationen über mehrere Silben hinweg kombiniert werden können; die Sprachschaltkreise nutzen Kontextinformationen, um die Menge der möglichen Übereinstimmungen einzuschränken und fehlende Wörter abzuleiten. Dieses Modell erklärt, warum ein Großteil der Varianz in der Sprachwahrnehmungsfähigkeit bei älteren Personen durch Unterschiede in kognitiven Funktionen erklärt wird (Füllgrabe et al. 2014).
Neuronale Korrelate von erschwertem Sprachverstehen
Die Unterschiede im Sprachverstehen können in Aktivitätsmus tern im Gehirn reflektiert werden: Bei älteren Personen werden während der Sprachverarbeitung andere neuronale Netzwerke aktiviert als bei jüngeren Erwachsenen. So zeigen bildgebende Studien bei älteren Probanden im Vergleich zu jüngeren eine geringere Aktivität in Gehirnregionen, die an der auditorischen Verarbeitung beteiligt sind (BilodeauMercure et al. 2015, Cliff et al. 2013, Manan 2015, Wong et al. 2009). Bei älteren Personen werden aber oft andere Gehirnregionen zusätzlich rekrutiert, möglicherweise, um die geringe Aktivierung der auditorischen Regionen zu kompensieren. So wurden bei Menschen im Alter von 49 bis 86 Jahren beim einfachen Sprachverstehen ( Tyler et al. 2010), beim Sprachverstehen im Lärm ( Wong et al. 2009) und beim Verstehen von undeutlicher Sprache (Erb und Obleser 2013) präfrontale Regionen stärker aktiviert als bei jüngeren Probanden. Bei diesen drei Studien war zudem die präfrontale Aktivierung mit dem Grad der Leistung positiv kor reliert. Ein möglicher Grund dafür könnte darin liegen, dass präfrontale Regionen mit exekutiven Funktionen wie Arbeits gedächtnis und selektive Aufmerksamkeit assoziiert sind und bei kognitiver Anstrengung besonders stark beansprucht wer den (BidetCaulet et al. 2015, Plakke und Romanski 2014). Dieses deutet auf eine kompensatorische Strategie hin und kann als Hinweis für die im Alter noch erhaltene neuronale Plastizität gewertet werden.
Neben dieser kompensatorischen Aktivierung kommt es bei älteren schwerhörigen Erwachsenen vor, dass sie während der Sprachverarbeitung Gehirnregionen aktivieren, die normaler weise Signale aus anderen sensorischen Systemen verarbeiten. Während jüngere Erwachsene (<40 Jahre) die Aktivität im vi suellen Kortex bei der Erkennung von undeutlichen Wörtern (Kuchinsky et al. 2012) beziehungsweise Worterkennung im Lärm (Vaden et al. 2016) unterdrückten, aktivierten ältere Er wachsene (>61 Jahre) gleichzeitig sowohl visuelle als auch auditorische Gehirnregionen. Der Grad der Aktivierung korre lierte dabei mit dem Alter und dem Schweregrad der Aufga ben. Diese Schwierigkeit, die irrelevante sensorische Aktivität mit zunehmendem Alter zu unterdrücken, könnte daraus re sultieren, dass bei Anstrengung alle vorhandenen kognitiven Ressourcen für das Zuhören bereitgestellt werden. Dies wiederum reduziert die kognitive Reservekapazität (das heißt die Menge der verfügbaren kognitiven Ressourcen) und lässt wenig Ressourcen für andere Aufgaben übrig (Mishra et al. 2014, Rudner und Lunner 2014). So ist es nicht verwunderlich, dass sich ältere Schwerhörige bei gleichzeitiger Erledigung von DualTaskAufgaben (zwei verschiedene Aufgaben, zum Beispiel ein Ziel mit der Maus auf dem Bildschirm verfolgen und eine Liste von gemerkten Wörtern aufsagen) (Tun et al. 2009) und beim Verständnis von syntaktisch komplexen Sätzen schwertun (DeCaro et al. 2016, Wingfield 2006). Sie können sich oft auch nicht mehr so gut orientieren und weisen ein zwei bis drei fach höheres Sturzrisiko auf (Lin und Ferrucci 2012). Der mög liche Grund für eine höhere Sturzgefahr besteht darin, dass Schwerhörige ihre Umgebung oft nicht so gut wahrnehmen. Sie benötigen mehr Gehirnleistung für das Hören als Normal hörende und haben deswegen weniger Ressourcen für das Gehen und für das Halten des Gleichgewichtes.
Nicht nur infolge des Hörverlustes, sondern auch aufgrund des normalen Alterungsprozesses gibt es organische Veränderungen in der Gehirnstruktur, wie zum Beispiel die Verringerung des Volumens der grauen Substanz (Betzel et al. 2014). Das kann zu Modifikationen in der Konnektivität zwischen funktionalen Netzwerken im Gehirn führen (Bennett und Madden 2014). Solche neuronalen Veränderungen gehen mit einem Rückgang in mehreren kognitiven Bereichen wie Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit ein her (Deary et al. 2009, Tun et al. 2012). Das kann sich negativ auf die auditorische und sprachliche Verarbeitung auswirken und das Sprachverständnis im Lärm erschweren (Anderson et al. 2013a, Arehart et al. 2013, Zekveld et al. 2013). Die geringere Verfügbarkeit kognitiver Ressourcen bei Höranstrengung im höheren Alter und bei steigendem Hörverlust konnte auch mittels Pupillometrie gezeigt werden. Bei normal hörenden Personen erweitert sich die Pupille mit zunehmender kognitiver Belastung, zum Beispiel bei Verringerung der Verständlichkeit des Sprachsignals oder wenn es unklar ist, aus welcher Richtung die Sprache kommt (Koelewijn et al. 2015). So ist es nicht verwunderlich, dass höheres Alter (45–73 Jahre) und deutlicher Hörverlust (>25 dB HL) zu einer anhaltenden Pupillenerweiterung führen, weil es bei höheren Lärmpegeln zu nehmend schwieriger wird, die Sprache zu verstehen (Zekveld et al. 2011). Pupillenerweiterung und kognitive Belastung waren außerdem mit einer erhöhten Aktivierung kortikaler, aber auch frontaler Hörbereiche assoziiert (Zekveld et al. 2014). Die se Ergebnisse sind umso außergewöhnlicher, wenn man be denkt, dass die Pupillengröße sich meist mit dem Alter verringert (Guillon et al. 2016). In der Zusammenschau sprechen diese Befunde dafür, dass bei älteren Probanden mit Hörverlust wahrscheinlich mehr Ressourcen für das Hören und Verstehen bereitgestellt werden müssen. Die geschilderte Erkenntnislage spricht für eine funktionelle Wechselwirkung zwischen den Auswirkungen von Hörverlust und Alter, und die negativen Auswirkungen scheinen sich besonders zu verstärken, wenn beide Faktoren zusammenspielen.
Hörtraining nach einer Cochlea-Implantation
Im ersten Teil dieses Beitrages zum Hörtraining, der in der JuliAusgabe 2019 der „Hörakustik“ veröffentlicht wurde, wur den computerbasierte kognitive Trainings für schwerhörige Patienten mit kognitiven Defiziten beschrieben. Ähnlich den Patienten mit kognitiven Einbußen kann ein auditorisches kognitives Training auch Patienten nach einer CochleaImplan tation helfen, Sprache besser zu verstehen. Denn das Erlernen elektrisch stimulierter Sprachmuster kann für viele Menschen eine neue und schwierige Erfahrung sein, die ihre Bedürfnisse nicht vollständig erfüllt. In der Anfangsphase der Anwendung von CIs müssen sich postlingual taube oder stark schwerhörige CI-Patienten an die Unterschiede zwischen ihren bisherigen Erfahrungen mit normalem akustischem Hören und dem Aktivierungsmuster durch elektrische Stimulation gewöhnen. Fast immer ist eine zusätzliche auditorische Rehabilitation notwendig, während der man übt, neue Hörimpulse mit den bestehenden neuronalen Mustern in Einklang zu bringen. Längsschnittstudien zeigten, dass die meisten Leistungssteigerungen in den ersten drei Monaten der Nutzung auftreten (Fu und Galvin 2007). Bei einigen CIPatienten wurde jedoch über einen längeren Zeitraum eine kontinuierliche Verbesserung beobachtet (Tyler et al. 2010). Weiterhin hat eine auditorische Rehabilitation nach einer CIVersorgung zur Verringerung der Depressionssymptome geführt (Castiglione et al. 2016). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei CIPatienten, auch nach jahrelanger Erfahrung mit ihrem Gerät, eine erhebliche auditorische Plastizität vorliegt. Aufgrund der spektral degradierten Sprachmuster des Implantates kann es vorkommen, dass das passive Lernen für das optimale Sprachverständnis nicht aus reicht. Durch das aktive Hörtraining kann die auditorische Plastizität für CIPatienten besser genutzt werden und das Er lernen elektrisch stimulierter Sprachmuster erleichtern (Swee tow et al. 2005). Aus diesem Grund scheint das Konzept eines kognitiven adaptiven strukturierten auditorischen Trainings (KASAT) für CIPatienten sehr sinnvoll. Erstens sind die Kosten für so ein Hörtraining deutlich geringer als bei der traditionellen Hörrehabilitation in Hörkliniken und Krankenhäusern. Zweitens ist KASAT für Patienten leicht zugänglich, da sie jederzeit zu Hause üben können, sofern sie Zugang zu einem Computer oder iPad haben. Drittens kann der Fortschritt der Patienten bei Einverständnis leicht von Ärzten und Therapeuten einge sehen werden. Ein älteres computerisiertes Trainingsprogramm für CITräger mit dem Namen Contrasts for Auditory and Speech Training (CAST) wurde von der US amerikanischen Firma House Ear Institute vor über zehn Jahren entwickelt (Fu und Galvin 2007). Die Trainingsinhalte bestehen aus Konsonantentraining mit einsilbigen Wörtern, Übungen zur Erkennung von reinen Tönen, Umgebungsgeräuschen, einsilbigen Wörtern, länge ren vertrauten Wörtern, vertrauten Sätzen, einfachen Melodienfolgen und vertrauten Melodien. Für fortgeschrittene Benutzer kann CAST auch schwierige Hörumgebungen nach ahmen, indem Hintergrundgeräusche oder konkurrierende Sprache hinzugefügt werden. Die Patienten können zu Hause 30 bis 60 Minuten am Tag, fünf Tage pro Woche für die Dauer von einem Monat oder länger trainieren. Der Schwierigkeitsgrad wird automatisch an die individuelle Patientenleistung angepasst, indem die Anzahl der Antwortmöglichkeiten erhöht und/oder die akustischen Unterschiede zwischen den Antwortmöglichkeiten reduziert werden. Bei Leistungssteigerung wird der Schwierigkeitsgrad automatisch erhöht. Wenn sich die Leistung nicht verbessert, wird der Schwierigkeitsgrad verringert. Eine regelmäßige Anwendung des Trainings führte zu signifikanten Verbesserungen bei der Sprach, Musik und Tonerkennung von CIPatienten (Fu und Galvin 2007). Bei Patienten mit mindestens dreijähriger CI-Erfahrung wurde in ei nem Zeitraum von drei Wochen (Stacey et al. 2010) beziehungsweise einem Monat (Schumann et al. 2014) eine signifikante Verbesserung in der Konsonantendiskrimination in Ruhe fest gestellt. Ein tägliches 30-minütiges Training für die Dauer von einem Monat führte zu einer Verbesserung im Zahlen und Satzverstehen auch im Störgeräusch (Oba et al. 2011). Es wurde zudem gezeigt, dass trainingsbedingte Veränderungen in der neuronalen Aktivität dem Verhaltenslernen vorausgehen können (Tremblay et al. 2009).
Im deutschsprachigen Raum gibt es bis jetzt kein auf die CI Träger zugeschnittenes computerisiertes Hörtraining, das wis senschaftlich untersucht wurde. Ein mögliches PaperPencil Basistraining ist das ListenupTraining von der Firma MEDEL, in dem Verstehen von Wörtern und Sätzen sowie Beschreibun gen bis zu Verständnisfragen zu kleinen Texten mithilfe einer CD und einem Aufgabenheft trainiert werden.
Computerbasierte auditorische Trainings verbessern das Sprachverstehen bei CITrägern.
Die Hörtraining App von Asklepios beinhaltet Hörübungen, die von einem Schauspieler eingesprochen wurden und die das Verständnis von zweistelligen Zahlen, Nonsenswörtern und Alltagsge räuschen trainieren. Diese beiden Trainings eignen sich gut für die Anfangsphase nach einer CIImplantation, in der der Fokus auf der Gewöhnung an die CIs liegt und nur gröbere Unter schiede in der Sprache herausgehört werden müssen. Für fort geschrittene und vor allem ältere CI-Träger bedarf es eines anspruchsvolleren adaptiven Computertrainings wie das allerdings nur in Englisch verfügbare CAST, in dem zusätzlich zu einfacher Wortdifferenzierung kognitive Funktionen in realitätsnahen Alltagssituationen trainiert werden. Als mögliche Grundlage für die Entwicklung eines Computertrainings für CITräger könnte das auditorische Training von der Firma KOJ Institut für Gehörtherapie dienen. Das kognitive Hörtraining wurde 2013 als begleitende Therapie für Hörgeräteanpassun gen entwickelt. Das Training wurde seitdem kontinuierlich angepasst und optimiert und könnte, nach wissenschaftlich fundierter Überprüfung der Wirksamkeit, eigenständig zur Ver besserung des Sprachverständnisses in anspruchsvollen Um gebungen und Situationen genutzt werden. Das KOJ-Hörtraining passt sich während der gesamten Trainingszeit adaptiv an die Fähigkeiten jedes Patienten an, wobei in 20 verschiedenen Übungsarten das Sprachverstehen vor allem in schwierigen Situationen, wie bei Hintergrundlärm oder bei Anwesenheit von mehreren Sprechern, trainiert wird.
Hörtraining bei Aufmerksamkeits-Defizit- Hyperaktivitätsstörung
Auch sind in der weiteren Planung, das Hörtraining an aus gewählten Kollektiven außerhalb des primären OtoRhino Laryngologie(ORL)Focus einzusetzen und die Auswirkungen auf spezifische Patientengruppen mit Hörstörungen zu beur teilen. Betroffene mit AufmerksamkeitsDefizitHyperaktivitätsstörung (ADHS) haben im Kindes wie im Erwachsenenalter häufig Sprachverständnisschwierigkeiten durch Probleme im Prozessieren der auditiven Informationen (Fostick 2017), können die Dauer auditiver Reize nicht adäquat einschätzen (Puyjarinet et al. 2017) und werden oft als Kinder bereits mit Hörstörungen primär einem HalsNasenOhren(HNO)Arzt vorgestellt. Die Kinder reagieren auf Anfragen oft erst, wenn diese wiederholt werden, vergessen, was man ihnen aufgetragen hat und sind oft abgelenkt, wenn man mit ihnen spricht (Schwemmle et al. 2007). Durch mangelnde Kooperations fähigkeit und Konzentrationsfähigkeit von Kindern mit ADHS können die Ergebnisse psychoakustischer Tests beim HNOArzt beeinflusst werden. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, dass auch HNOÄrzte wissen, wie man die Symptome einer ADHS von einer reinen Hörstörung unterscheiden kann und gegebenenfalls eine Untersuchung durch einen Psychiater veranlassen.
ADHSbetroffene Kinder zeigen hohe Schwankungen in der auditiven Aufmerksamkeit, welche ihre Fähigkeiten und Leis tungen weitreichend einschränken können. Zusätzliche visu elle Informationen verbessern offenbar das Sprachverständnis trotz Hintergrundgeräuschen (Michalek 2014). Diese Störungen sind wahrscheinlich besonders assoziiert mit der niedrigeren Schwelle bei ADHS, Umgebungsreize wie Geräusche als unan genehm oder störend zu empfinden (Fuermaier et al. 2018). Wir sehen zum Beispiel eine Erfolg versprechende Möglichkeit, dass ein gezieltes Training der gerichteten Aufmerksamkeit bei ADHS die Toleranz gegenüber ablenkenden Reizen sowie die Konzentration auf Stimmen und Geräusche verbessern könnte.
Neuroplastizität im Alter nach auditorischem Training
Es gibt nur wenige Studien, die Veränderungen der Gehirnak tivität nach kognitiven Hörtrainings untersuchten (Anderson et al. 2013b, Filippini et al. 2012, Gil und Iorio 2010, Tremblay et al. 2009). Eine Kernspintomografiestudie hat Verbesserun gen der Aufmerksamkeit nach einem am Smartphone durch geführten auditorischen Silbentraining demonstriert, die mit einer entsprechenden Veränderung der Gehirnaktivierung in einer Region einhergingen, die an der auditorischen Verarbei tung beteiligt ist (Bless et al. 2014). Neuere Erkenntnisse kom men aus den Studien, die multimodale oder visuelle Reize für das Training der kognitiven Funktionen benutzen. Eine andere Kernspintomografiestudie demonstrierte zum Beispiel eine erhöhte Hirnaktivität in frontalen und parietalen Kortices nach dem Üben von Arbeitsgedächtnisaufgaben, die visuell präsentiert wurden (Olesen et al. 2004). Eine andere vor Kurzem mit gesunden älteren Erwachsenen (Alter: 64–77 Jahre) mittels Kernspintomografie durchgeführte Studie benutzte computerisiertes adaptives Training mit multimodalen Aufgaben über acht Wochen eine Stunde am Tag und an drei Tagen pro Woche (Kim et al. 2017). Die Aufgaben zielten auf das Training von Arbeitsgedächtnis, Verarbeitungsgeschwindigkeit und den zentralen exekutiven Funktionen – das heißt, die Fähigkeit, Handlungsimpulse zu kontrollieren. Auf der Verhaltensebene brachte das Training, im Vergleich zur passiven Kontrollgruppe, signifikante Verbesserungen in Verarbeitungsgeschwindigkeit und exekutiven Funktionen, aber nicht beim Arbeitsgedächtnis. Die Trainingseffekte korrelierten mit den beobachteten Hirnaktivierungen, im Vergleich zur Kontrollgruppe rekrutierten die Probanden der Trainingsgruppe zusätzliche Regionen im rechten frontalen und parietalen Kortex sowie die linke Insula Region – alle genannten Areale spielen bei der kognitiven Kontrolle eine wichtige Rolle. Eine dritte Studie berichtete von einem erhöhten Blutfluss und einer größeren funktionalen Konnektivität im Central Executive Network (zentrale exekutive Gehirnregionen, die unter anderem an kognitiven Funktionen wie Arbeitsgedächtnis, Problemlösen, Entscheidungsfindung beteiligt sind) und Default Mode Network (Ruhezustandsnetzwerk, eine Gruppe von Gehirnregionen, die beim Nichtstun aktiv werden) nach einem Denk und Strategietraining (Chap man et al. 2015). Als Grund für diese Veränderungen im Gehirn vermuten die Autoren unter anderem einen Zuwachs der An zahl von Neurotransmitterrezeptoren als Folge der häufigen Aktivierungen. Auf diese Weise seien die Nervenzellen darauf vorbereitet, auf zukünftige Reize ähnlicher Art auch im Ruhe zustand besser zu reagieren. Weiterhin nehmen die Autoren der Studie an, dass die Protein und Lipidsynthese in den Nervenzellen ebenfalls angetrieben werde, was zur Bildung oder Stärkung neuer Synapsen dienen könne. Weil diese Vorgänge Energie bräuchten, stiege die Durchblutung.
Viele wissenschaftliche Studien liefern Hinweise, dass computerbasierte auditorische Trainings zu positiven Veränderungen im Sprachverständnis und in der Sprachverarbeitung führen. Obwohl die Ergebnisse dieser Studien ermutigend sind, ist die gewonnene Evidenz bisher aufgrund des begrenzten Stichprobenumfanges und der Designs meist ohne gut vergleichbare Kontrollgruppen für die Zukunft noch deutlich zu verbessern.
In einem systematischen Review wurde die Wirksamkeit indi vidueller Hörtrainings überprüft (Sweetow und Palmer 2005). Nur sechs von 42 Artikeln erfüllten die Kriterien ihrer Bewer tung. Die Recherche ergab, dass es zwar mehrere Veröffent lichungen über die auditorische Ausbildung gibt, aber nur sehr wenige, die die strengen wissenschaftlichen Kriterien erfüllen. Die Autoren schlossen aber, dass die Bestimmung der Wirksamkeit entscheidend sei und sich weitere Studien auf die Formulierung klar definierter und objektiv messbarer Kriterien konzentrieren müssten, um solidere Ergebnisse zu liefern. Um mögliche Placeboeffekte, bedingt durch die alleinige Durchführung des Trainings, auszuschließen, wären unter anderem in der Zukunft Studien mit adäquat ausgewählten Aufgaben für die Kontrollgruppen notwendig (Foroughi et al. 2016). Nur randomisierte kontrollierte Studien sind dazu in der Lage, die auf dem Markt befindlichen auditorischen Computertrainingsprogramme valide zu untersuchen und ihre Wirksamkeit zu bewerten und eine wissenschaftliche Evidenz für die vielversprechenden Anwendungen zu schaffen.
In einer kommenden Ausgabe dieser Zeitschrift können Sie in einem weiteren Teil dieses Artikels über die Herausforderungen des strukturierten und personalisierten auditorischen Trainings lesen und erfahren mehr darüber, warum Alternativen dazu vermutlich weniger wirksam sind.
Fazit
Die Probleme mit dem Sprachverständnis vieler Patienten mit Altersschwerhörigkeit gehen oft weit über das hinaus, was al lein aufgrund von Hörverlust zu erwarten wäre. Das liegt da ran, dass zum peripheren Hörverlust Defizite in der zentralen Sprachverarbeitung kommen, die von einem Hörgerät oder einem CI nicht kompensiert werden können. Auch nach einer Versorgung mit einem Hörgerät oder CI laufen ständig kogni tive Prozesse, um Verzerrungen in eingehenden neuronalen Aktivitätsmustern auszugleichen. Aktuelle Studien zeigen Verbesserungen der kognitiven Funktionen und demzufolge des Sprachverstehens durch aktives computerbasiertes Hörtraining. Auch wenn mehr hochwertige Studien Effekte und Mechanismen der Verbesserungen von kognitiven Funktionen nach ei nem kognitiven Training noch bestätigen müssen, erscheint es sinnvoll und empfehlenswert, dass diese Rehabilitationsmethode in der Zukunft als fester Bestandteil in die Nachsorge von Hörgeräte und CI-Trägern integriert wird. Hiermit könnte man den Patienten über die Verbesserung des Sprachverstehens eine verbesserte Lebensqualität entsprechend ihrer in dividuellen Voraussetzungen ermöglichen.
Die Autoren
Die Neurowissenschaftlerin Dr. Aleksandra Kupferberg erforschte als Postdoktorandin an der Universität Bern bei Professor Gregor Hasler das soziale Verhalten bei psychischen Störungen und übernahm 2017 die wissenschaftliche Leitung des KOJ HearingResearchCenters. In ihrer Doktorarbeit an der LudwigMaximiliansUniversität München verwendete sie bildgebende Methoden, um die neuronalen Korrelate des sozialen Verhaltens zu untersuchen. Beim KOJHearingResearchCenter führt sie klinische Studien zur Wirksamkeit des Hörtrainings durch, unterstützt die Weiterentwicklung der Lernprogramme aus psychologischer Sicht, betreut die Zusammenarbeit mit den Ärzten und Kliniken, publiziert über aktuelle Themen in der Hörforschung und ist Ansprechpartnerin für alle forschungsrelevanten Fragen.
Dr. Pascal Burger promovierte 2008 an der FriedrichAlexanderUniversität ErlangenNürnberg unter Professor Johannes Zenk (HalsNasenOhrenKlinik) zum Doktor der Medizin. Nach dem Erwerb des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie 2013 schloss er im selben Jahr seinen Postgraduiertenstudiengang Master of Medical Education erfolgreich ab und promovierte 2017 im Fach Psychologie an der Universität Bochum. Seit Juni 2018 leitet er das Spezialambulatorium für ADHS an der psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Weitere seiner Forschungsprojekte befassen sich mit Medizindidaktik und dem Einfluss des Lernverhaltens auf die psychische Gesundheit Studierender.
Dr. med. Mattheus Vischer führt seit mehr als 20 Jahren eine HNOPraxis in Gümligen bei Bern mit chirurgischer Tätigkeit an der Privatklinik Siloah und am Operationszentrum Burgdorf. Seine Schwerpunkte sind Erkrankungen des Ohres, Ohrchirurgie, angeborene und erworbene Schwerhörigkeit und HNOKrankheiten im Kindesalter. In wissenschaftlichen Projekten erforschte er Effekte der künstlichen elektrischen Stimulation des Hörnervs und der Hörbahn. In der klinischen Forschung befasst er sich mit der Auswirkung der CochleaImplantation auf die Sprachentwicklung und Ergebnissen der Gehörrehabilitation nach Ertau bung. An der HNO Universitätsklinik des Inselspitals Bern operiert er als Senior Consultant Cochlea-Implantate und implantier bare Hörgeräte.
Professorin Dr. Elke Kalbe ist seit 2015 Professorin für Medizinische Psychologie an der Universitätsklinik Köln. Sie studierte Psychologie, Linguistik, Phonetik an der Universität Bonn und promovierte sowie habilitierte im Fach Psychologie an der Universität Bielefeld. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen verschiedene Aspekte zum Thema „Kognition im Alter“, unter anderem neuropsychologische Änderungen bei Menschen mit der Parkinson oder Alzheimerkrankheit, Demenz, kognitions basierten Interventionen, neuropsychologische Demenzdiagnostik und funktionelle Hirnbildgebung. Kalbe wurde 2011 von der Universität Witten/Herdecke mit dem Preis für die Hirnforschung ausgezeichnet und erhielt 2014 einen Forschungspreis der Deutschen Parkinsongesellschaft.
Nicolai Berardi ist Betriebsleiter der SOS Ärzte Turicum AG und weiterhin tätig als Einsatzleiter und Notfallarzt. Er erforscht am Institut für Notfallmedizin der SOS Ärzte allgemeinmedizinische und psychiatrische Fragestellungen im ambulanten Setting. Während seines Medizinstudiums forschte er an der Universität Zürich im Bereich miRNA und deren Einfluss auf zelluläre Regeneration. Er ist weiter verantwortlich für die Aus und Weiterbildung neuer Einsatzärzte und die Durchführung von Kur sen für Medizinstudenten des Fachvereines Medizin.
Professor Dr. Stefan Hegemann ist Professor für HalsNasenOhren(HNO)Heilkunde mit dem Schwerpunkt Neurootologie an der Universität Zürich. Er hat 1993 an der Ludwig MaximiliansUniversität München promoviert, hat 1995 den Facharzttitel für HNOHeilkunde an der Universitätsklinik der RWTH Aachen und 2002 den für Neurologie an der FriedrichSchillerUniversität Jena erhalten und war 1997 als visting scientist an der JohnsHopkinsUniversity in Baltimore, wo er Studien zum oculomoto rischen neuralen Integrator durchgeführt hat. Von 2003 bis 2006 war er Leiter des Interdisziplinären Zentrums für Schwindel und Gleichgewichtsstörungen am Universitätsspital Zürich und ist seit 2006 niedergelassen. Seit 2019 ist er Lehrbeauftragter der ETH und gibt unter anderem Vorlesungen zur Physiologie des Hörens.
Professor Dr. Sascha Frühholz ist Professor für Kognitive und Affektive Neurowissenschaften am Psychologischen Institut der Universität Zürich (Schweiz). Er promovierte (2008) und habilitierte (2016) in der Psychologie. Seine Forschung beschäftigt sich mit dem auditorischen System des Menschen während des Sprachverstehens und der Verarbeitung von sozialen Informationen in der Stimme. Er ist KoEditor des „Oxford Handbook of Voice Perception“.
Dr. med. Camillo Amodio hat nach dem Studium an der Universität Zürich seinen Fokus der ärztlichen Grundversorgung gewid met. Er durchlief zunächst allgemeinmedizinische Weiterbildungsjahre in unterschiedlichen Fachdisziplinen in der Schweiz. Es folgte von 1993 bis 1995 ein Engagement in der CoLeitung der medizinischen Versorgung (unter anderem ein Spital, mehrere periphere HealthCenters und ein mobiles Impfteam) in einem ruralen Distrikt im Osten von Lesotho (südliches Afrika). Seit 1997 ist er dem Unternehmen SOS Ärzte Turicum AG verbunden, als Einsatzarzt, im Unternehmensaufbau und in der Geschäftsleitung. SOS Ärzte betreibt eine eigene medizinische Triagezentrale und ein überregional patientenaufsuchendes ärztliches Team rund um die Uhr im Kanton Zürich und angrenzenden Regionen. Es ist eine Weiterbildungsdrehscheibe für junge Ärzte. Die überregionale Einsatzkonzeption mit der entsprechenden Logistik und sinnvollen Ressourcenallokation ist eine Errungenschaft, die in die Neuorganisation des Notfallpflichtdienstes der gesamten Züricher Ärzteschaft 2018 eingeflossen ist.
Viele wissenschaftliche Untersuchungen liefern Hinweise, dass das computerbasierte auditorische Training, wie beispielsweise die Koj-Gehötherapie, zu positiven Veränderungen im Sprachverständnis und der Sprachverarbeitung führt.
Es wurden bereits zahlreiche Studien veröffentlicht, die Veränderungen der Gehirnaktivität nach kognitiven Hörtrainings demonstrierten (Anderson, White-Schwoch, Parbery-Clark, & Kraus, 2013b; Filippini, Befi-Lopes, & Schochat, 2012; Gil & Iorio, 2010; Tremblay et al., 2009). Das bedeutet, dass auditorisches Training nicht nur auf Verhaltensebene wirkt, sondern Gehirnstrukturen auch dauerhaft verändert. Dieser Effekt wurde bereits in 2017 in einer mithilfe einer Kernspintomographie durchgeführten Studie mit gesunden älteren Erwachsenen im Alter von 64 bis 77 Jahren gezeigt (Kim, Chey, & Lee, 2017). Die Fähigkeit der Nervenzellen oder der ganzen Hirnareale, sich zwecks Optimierung laufender Prozesse nutzungsabhängig in ihrer Anatomie und Funktion zu verändern, nennt man Neuroplastizität.
Dr. Kupferberg erläutert in diesem 5 Minuten Video das spannende Thema der Neuroplastizität des menschlichen Gehirns.
Kognitives Training rekrutiert neue Gehirnregionen und macht das Gehirn effizienter
Die Probanden der Studie haben 8 Wochen lang 1 Stunde am Tag und an 3 Tagen pro Woche trainiert. Auf der Verhaltensebene zeigte das Training im Vergleich zur passiven Kontrollgruppe (diese Gruppe bekam kein Training) signifikante Verbesserungen in Verarbeitungsgeschwindigkeit (Schnelligkeit) und exekutiven Funktionen – das heißt, in der Fähigkeit, Handlungsimpulse zu kontrollieren, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu finden. Interessanterweise korrelierten die Trainingseffekte auch mit den beobachteten Hirnaktivierungen. Die kognitiven Tests wurden in beiden Gruppen vor und nach der Trainingszeit durchgeführt, zusammen mit Messungen der aufgabenbezogenen neuronalen Aktivierungen mittels Kernspintomographie. Im Vergleich zur Kontrollgruppe rekrutierten die Probanden der Trainingsgruppe zusätzliche Regionen im rechten frontalen und parietalen Kortex sowie die linke Insula. Diese Regionen spielen bei der kognitiven Kontrolle eine wichtige Rolle. Die Studie zeigt, dass kognitives Training zu einer Aktivierung bestimmter Hirnbereiche führen kann, die zusätzliche Ressourcen für kognitive Leistungen bereitstellen.
Das Gehirn bietet das wahrscheinlich grösste Potenzial zur Reaktivierung der Hörverarbeitung. Genau an diesem Punkt setzt die medizinische KOJ®Gehörtherapie an, bei der Hirnverarbeitung.
Eine ältere Kernspintomographiestudie hat Verbesserungen der Aufmerksamkeit nach einem am Smartphone durchgeführten auditorischen Silbentraining demonstriert (Bless, Westerhausen, Kompus, Gudmundsen, & Hugdahl, 2014). Die Testpersonen in der Trainingsgruppe führten die Trainingsaufgabe 3 Wochen lang zweimal täglich (morgens und abends) auf einem iPad aus. Auch in dieser Studie erhielten die Testpersonen in der Kontrollgruppe kein Training, wurden aber im gleichen Zeitintervall wie die Trainingsgruppe getestet. Die Ergebnisse zeigten eine Leistungssteigerung nach dem Training. Diese Leistungssteigerung korrelierte mit einer Reduktion der Aktivierung in Hirnregionen, die mit selektiver auditorischer Verarbeitung (linker posteriorer temporaler Gyrus) und exekutiven Funktionen (rechter inferiorer frontaler Gyrus) assoziiert sind. Das weist auf eine effizientere Verarbeitung in aufgabenbezogenen neuronalen Netzwerken nach dem Training hin.
Kognitives Training führt zur besseren Signalübertragung zwischen den Zellen
Eine dritte Studie berichtete von einem erhöhten Blutfluss und einer größeren funktionalen Konnektivität (gleichzeitige Aktivierung von weiter auseinander liegenden Gehirnbereichen und Default Mode Network, dem Ruhezustandsnetzwerk (eine Gruppe von Gehirnregionen, die beim Nichtstun aktiv werden)) nach einem Denk- und Strategietraining (Chapman et al., 2015). Als Grund für diese Veränderungen im Gehirn vermuten die Autoren unter anderem einen Zuwachs der Anzahl von Neurotransmitter-Rezeptoren als Folge häufiger Aktivierungen. Auf diese Weise sind die Nervenzellen darauf vorbereitet, auf zukünftige Reize ähnlicher Art auch im Ruhezustand „besser“ zu reagieren. Weiterhin nehmen die Autoren der Studie an, dass die Protein- und Lipidsynthese in den Nervenzellen ebenfalls angetrieben wird, was zur Bildung oder Stärkung neuer Synapsen dienen kann. Weil diese Vorgänge Energie brauchen, steigt die Durchblutung.
Fazit
Dr. A. Kupferberg, Neurobiologin, Wissenschaftliche Leitung KHRC
Ein Gehörtraining ist in der Lage, die neuropsychologischen Defizite zu mindern, die kognitiver Verlangsamung uns Sprachverständnisproblemen zugrunde liegen. Auditorisches Training wie die Koj-Gehörtherapie verbessert nicht nur die kognitiven Fähigkeiten, sondern kann das Gehirn dauerhaft verändern. Wir gehen davon aus, dass aufgrund der Plastizität des Gehirns die Koj-Gehörtherapie wesentliche Hirnnetzwerke stärkt und entwickelt und zugrunde liegende kognitive Prozesse in Gang setzt, indem das Gehirn gut definierten Lernaufgaben aussetzt wird. Aus diesem Grund ist es enorm wichtig, bereits bei den ersten Anzeichen der kognitiven Verlangsamung, die sich auch in Schwerhörigkeit äußern kann, das Gehirn wieder zu aktivieren und herauszufordern – am besten mithilfe eines kontrollierten und individuell angepassten kognitiven Trainings wie der Koj-Gehörtherapie.
Bonn – Einen Mechanismus, der die gestörte Erinnerung bei einer Alzheimer-Erkrankung mitverursachen könnte, beschreiben Wissenschaftler um Martin Fuhrmann vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Danach stören Nervenzellen im Gehirn, die für neue Erfahrungen zuständig sind, die Signale von Zellen, die Erinnerungen enthalten und legen eigene Signale darüber.
Die Wissenschaftler konzentrierten sich bei ihrer Arbeit auf den Hippocampus. Dieser für die Erinnerungen essenzielle Bereich des Gehirns ist bei einer Alzheimer-Demenz sehr früh betroffen. Bislang nahm man an, dass die Zellnetzwerke in bestimmten Hippocampus-Arealen bei Alzheimer nicht in geeigneter Weise aktiviert werden können, weil sie krankheitsbedingt geschädigt sind und die Erinnerung somit für immer verloren ist. Nach Studien am Mausmodell kommen die DZNE-Wissenschaftler aber zu anderen Schlussfolgerungen.
Dazu erkundeten gesunde Mäuse und solche mit krankhaften Hirnveränderungen, die in ähnlicher Form bei Alzheimer auftreten, eine unbekannte Umgebung. Mit Hilfe einer besonderen Messtechnik – der 2-Photonen-in-vivo-Mikroskopie – konnten die Forscher dabei die Aktivität einzelner Nervenzellen des Hippocampus erfassen.
Wenn die verschiedenen Mäuse ein paar Tage später wieder derselben Umgebung ausgesetzt waren, verhielten sie sich unterschiedlich: Die gesunden Mäuse erkannten die Umgebung wieder, die Mäuse mit Alzheimer-ähnlichen Hirnschädigungen jedoch nicht.
„Bei den Mäusen mit Alzheimer-ähnlichen Krankheitsbild waren beim zweiten Besuch nicht nur Zellnetzwerke aktiv, die Erinnerungen beinhalteten, sondern auch Netzwerke, in denen keine Erinnerungen gespeichert waren und die eine neue Erfahrung verarbeiteten. Dadurch kam es zu einer Überlagerung, also zu Störsignalen“, erläutert die Erstautorin der Arbeit, Stefanie Poll.
In einem weiteren Versuchsschritt veränderten die Wissenschaftler die Nervenzellen gezielt: „Wir konnten die Nervenzellen, die neue Erfahrungen verarbeiteten, gezielt an- und ausschalten, also ihre Aktivität steuern“, erläutert Fuhrmann. Bei den erkrankten Mäusen haben die Forscher diese Zellnetzwerke ausgeschaltet und bei den gesunden Mäusen haben wir sie angeschaltet.“
Auf diese Weise war es möglich, das Störfeuer im Gehirn zu beseitigen beziehungsweise gezielt auszulösen. Dies zeigte sich im Verhalten. „Die Mäuse mit Alzheimer-ähnlichem Krankheitsbild konnten die Versuchsumgebung nun wiederkennen. Ihr Gedächtnis kam zurück. Die gesunden Mäuse hingegen konnten sich jetzt nicht mehr erinnern“, berichtet Poll.
Die Wissenschaftler vermuten hier einen bislang unbekannten Prozess im Gehirn, der zu Gedächtnisstörungen bei Alzheimer beiträgt – was weitreichende Konsequenzen hätte: „Theoretisch könnte das für Therapien der Zukunft bedeuten, dass Alzheimer-Betroffene und Menschen mit Amnesie womöglich ihr Gedächtnis zurückbekämen, indem man bei ihnen mit Hilfe noch zu etablierender Methoden die Aktivität bestimmter Netzwerke von Nervenzellen dämpft.
Andererseits wäre es vielleicht möglich, dass man bei Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen die Aktivität dieser Netzwerke verstärkt und dadurch belastende Erinnerungen überschreibt“, erläutert Fuhrmann.
Hamilton – Eine gesunde Ernährung kann das Risiko kognitiver Einschränkungen und demenzieller Erkrankungen im Alter verringern. Das berichten Wissenschaftler um Andrew Smyth von der McMaster University im kanadischen Hamilton. Für ihre in der Zeitschrift Neurology erschienenen Studie (doi:10.1212/WNL.0000000000001638 1526-632X) haben sie die Daten von zwei großen Untersuchungen zur Wirkung blutdrucksenkender Medikamente neu ausgewertet.
Die 27.860 Teilnehmer der Studie aus 40 Ländern waren mindestens 55 Jahre alt, sie litten an Herzerkrankungen oder hatten ein hohes Risiko für die Zuckerkrankheit. Gemessen wurde die geistige Leistung anhand des Mini- Mental-Status-Test (MMST), einem Standardtest zur Diagnose von Demenz und Alzheimer.
Das Ergebnis: Die Studienteilnehmer, die sich am gesündesten ernährten, hatten ein um 24 Prozent geringeres Risiko für geistigen Abbau im Vergleich zu denen, die sich besonders ungesund ernährten. Als „gesund“ galt dabei eine Diät mit viel Obst, Gemüse, Nüssen oder Eiweiß aus Soja sowie bei tierischen Nahrungsmitteln die Formel „mehr Fisch als Fleisch“ – im Gegensatz zum Konsum von zum Beispiel viel frittiertem Essen oder Alkohol.
„Die Ergebnisse legen nahe, dass gesunde Essgewohnheiten nicht nur das Herz-Kreislauf-Risiko sondern auch das Risiko für kognitive Störungen, insbesondere bezüglich Aufmerksamkeits- und Kontrollfunktionen, aber auch von Gedächtnisstörungen, senken könnten“, kommentiert Agnes Flöel von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie die Studienergebnisse. Flöel ist Leiterin der Arbeitsgruppe kognitive Neurologie an der Klinik für Neurologie der Charité in Berlin.
Flöel hält es allerdings auch für möglich, dass die errechnete Risikoreduktion nicht allein auf das gesunde Essen zurückgeht, sondern auch die Folge einer verminderten Kalorienzufuhr sein könnte. Die Forscherin selbst hat die positiven Auswirkungen solch einer kalorischen Restriktion bereits vor einigen Jahren am Universitätsklinikum Münster nachgewiesen.
In der aktuellen Studie hatten die Forscher zwar mit statistischen Methoden mögliche Auswirkungen des Rauchens, des Körpergewichts und von sportlichen Aktivitäten herausgerechnet. Der unterschiedliche Energiegehalt der Nahrung wurde aber nicht berücksichtigt. Außerdem kann die Studie nicht beantworten, welche Inhaltsstoffe der „gesunden Lebensmittel“ letztlich für die positiven Effekte verantwortlich waren.
Mögliche Substanzen sind hier Omega-3-Fettsäuren, B-Vitamine und Nährstoffe, die eine Kalorienrestriktion imitieren, mit positiven Auswirkungen auf den Glukose- Stoffwechsel. Hierzu gehört zum Beispiel das in Weintrauben vorkommende Resveratrol oder die für Selbstreinigungsprozesse der Zelle wichtigen Polyamine, die unter anderem in Weizenkeimlingen oder Sojabohnen enthalten sind.
Alberta – Moderates aerobes Training kann bei älteren Erwachsenen bereits nach 6 Monaten die Hirnleistung verbessern. Das berichten Wissenschaftler um Marc Poulin von der Cumming School of Medicine an der University of Calgary in Alberta in der Fachzeitschrift Neurology (DOI: 10.1212/WNL.0000000000009478). „Selbst wenn Sie spät im Leben mit einem Trainingsprogramm beginnen, kann der Nutzen für Ihr Gehirn immens sein“, sagte Poulin.
An der Studie nahmen 206 Erwachsene teil. Sie hatten ein Durchschnittsalter von 66 Jahren und keine Vorgeschichte von Herz- oder Gedächtnisproblemen. Die Teilnehmer absolvierten zu Beginn der Studie Denk- und Gedächtnistests sowie einen Ultraschall zur Messung des Blutflusses im Gehirn. Nach 3 Monaten wurden die körperlichen Tests wiederholt, und am Ende der 6 Monate erfolgten erneut Denk- und Gedächtnistests.
Die Probanden nahmen an einem beaufsichtigten aeroben Trainingsprogramm teil, das an 3 Tagen in der Woche stattfand. Sie steigerten ihr Training von durchschnittlich 20 Minuten pro Tag auf durchschnittlich mindestens 40 Minuten. Darüber hinaus wurden die Teilnehmer gebeten, einmal pro Woche selbstständig zu trainieren.
Die Forscher fanden heraus, dass sich die Teilnehmer nach 6 Monaten Training bei Tests der exekutiven Funktion, zu denen auch die geistige Flexibilität und die Selbstkorrektur gehören, um 5,7 % verbesserten. Die Sprechfertigkeit stieg um 2,4 %.
Außerdem bestimmten die Wissenschaftler den Blutfluss zum Gehirn. Dieser stieg von durchschnittlich 51,3 Zentimetern pro Sekunde (cm/sec) auf durchschnittlich 52,7 cm/sec, was einem Anstieg von 2,8 % entspricht.
„Unsere Studie zeigte, dass nach 6 Monaten kräftiger Bewegung Blut in Hirnregionen gepumpt werden kann, die speziell Ihre verbalen Fähigkeiten sowie Ihr Gedächtnis und Ihre geistige Schärfe verbessern“, schließt Poulin aus seinen Ergebnissen.