Wie Medikamente zum Hörverlust führen (Teil 1)

Umweltgifte für das Gehör

In unserer neuen Reihe «Medikamente, Rauchen, Alkohol und Umweltgifte – so schütze ich mein Gehör» erfahren Sie alles über Substanzen, die auf Ihr Ohr schädigend wirken und im schlimmsten Fall zur Schwerhörigkeit und sogar zum Hörverlust führen können. Der erste Teil informiert Sie darüber, bei welchen Medikamenten Sie besonders aufpassen müssen. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Gefahr, die vom Rauchen auf das Gehör ausgeht. Im dritten Teil erfahren Sie, wie Alkohol und Umweltgifte zum Verhängnis für Ihr Ohr werden können. Im letzten Teil lesen Sie, wie Sie Ihr Gehör optimal schützen können.

 

Teil 1. Wie Medikamente zum Hörverlust führen

Die üblichen Ursachen für Hörstörungen sind uns allen bekannt: Erkältung, Ohrenschmalz, Fremdkörper im Ohr, Verletzungen des Trommelfells durch Druck oder durchs Ohrenputzen, Stress oder zu grosse Lärmbelastung bei einem Konzert. Aber denken wir auch daran, dass Hörprobleme von einem in der Apotheke frei verkäuflichen Medikament kommen können? Auf dem Beipackzettel steht meist nur: «Schädigungen des Gehörs sind möglich.» Doch solche Hinweise überfliegen wir oft genauso wie die auf Allergien, Magenbeschwerden und Übelkeit. Im Klartext bedeutet diese Formulierung jedoch nichts anderes als: «Das Mittel kann taub machen.» Diese unerwünschte Nebenwirkung wird in der Expertensprache als «ototoxisch» bezeichnet. Leider ignorieren nicht nur viele Patienten die Warnhinweise, sondern auch viele Ärzte erörtern nicht die Gefahr, die von manchen Medikamenten ausgeht.

Was genau passiert im Ohr, wenn eine ototoxische Substanz eingenommen wurde? Die schädlichen Moleküle greifen die schwächste Stelle an: die Haarzellen der Hörschnecke im Innenohr. Die Hörschnecke ist der Ausgangspunkt von Nervenfasern, die sich auf dem Weg ins Gehirn zum Hörnerv vereinigen und Schallsignale in höhere Gehirnareale transportieren. Diese Bereiche des Gehirns sind am Sprachverstehen beteiligt. Aufgrund der ototoxischen Wirkung des Medikaments kommt es zur Schädigung und zum Absterben der Haarzellen. Die Folge: Man hört schlechter. Anders als bei einem verstopften Ohr oder Verletzungen ist das Hörvermögen dann in beiden Ohren reduziert und auch der Gleichgewichtssinn kann angegriffen werden. Manche Patienten fühlen sich unsicher und haben das Gefühl, dass bestimmte Gegenstände wackeln oder zittern.

Es gibt hauptsächlich vier Arten von Medikamenten, die eine (meist nur) vorübergehende Innenohrschwerhörigkeit auslösen können. Das bedeutet, dass die Schwerhörigkeit sich in der Regel wieder bessert, sobald Sie das Medikament absetzen.

  1. Aspirin und andere Schmerz- und Rheumamittel, die Acetylsalicylsäure enthalten
  2. Malariamittel, vor allem Chinin
  3. Zytostatika wie Cisplatin oder Carboplatin zur Behandlung von bösartigen Tumoren 
  4. sogenannte Schleifendiuretika (Mittel zur Ausschwemmung von Wasseransammlungen im Körper).

Lassen Sie uns einige von diesen Medikamenten genauer betrachten:

Aspirin ist ein weitverbreitetes Hilfsmittel bei Kopfschmerzen und aus der Hausapotheke kaum wegzudenken. Die Tablette wirkt schmerzlindernd und blutverdünnend. Doch bei langer und hoher Dosierung von Acetylsalicylsäure, dem Wirkstoff von Aspirin, drohen ein irreparabler Hörschaden und eventuell sogar Tinnitus. Nehmen Sie also nie gleich mehrere Aspirin-Tabletten in kürzester Zeit ein, ohne mit Ihrem Arzt gesprochen zu haben. Denn Ihre Haarsinneszellen können so stark geschädigt werden, dass sie den Schall nicht mehr weiterleiten und Sie kurzfristig taub werden. Nach ein paar Stunden sollte die Taubheit wieder vorbei sein, aber manchmal kann eine Überdosis zu permanentem Hörverlust führen. Eine wissenschaftliche Studie hat gezeigt, dass die regelmässige Einnahme von Aspirin bei jungen Menschen unter 60 Jahren zu einem um 33 Prozent höheren Risiko für Hörschäden führt. Leider besteht die Gefahr der Hörschädigung auch bei anderen freiverkäuflichen Schmerzmitteln, wie z.B. Paracetamol. Schon bei Personen im mittleren Alter, die regelmässig Paracetamol einnahmen, war das Risiko eines Hörverlusts um 99 Prozent höher als bei Personen, die Paracetamol nur gelegentlich einnahmen. Eine gute Neuigkeit allerdings ist, dass mit zunehmendem Alter der Schaden nicht mehr so stark mit der Einnahme des Medikaments korreliert. Das ist aber auf keinen Fall ein Freischein zur bedenkenlosen Einnahme.

Eine andere Gefahrenquelle stellen bestimmte Antibiotika dar. Bis auf wenige Ausnahmen handelt es sich um sogenannte Aminoglycosidantibiotika. Mit ihnen werden in der Regel nur sehr schwere Infektionen behandelt. Streptomycin, Gentamycin und Tobramycin können den Gleichgewichtsnerv schädigen, was manchmal zum Schwindel führt. Chloramphenicol, Tetracyclin, Azithromycin, Erythromycin und Neomycin, Vancomycin und Netilmycin können nicht nur den Gleichgewichtsnerv angreifen, sondern auch die Haarsinneszellen in der Hörschnecke schädigen. Bei diesen Antibiotika sollten Sie also zuerst mit Ihrem Arzt über Risiken für Ihre Hörfähigkeit sprechen.

Auch wenn Sie wegen Nierenleiden behandelt werden, ist Vorsicht geboten. Heutzutage gehören Entwässerungsmittel (auch Schleifendiuretika genannt) zur Standardtherapie bei der Herz- und Niereninsuffizienz sowie der arteriellen Hypertonie. Die Schleifendiuretika entfalten ihre Wirkung mithilfe eines Ionentransporters. Dieser Ionentransporter spielt auch eine wichtige Rolle im Innenohr. Die Medikamente können zu einer reversiblen, also zeitweiligen Hörminderung führen, indem sie diesen Ionentransporter blockieren. Werden Schleifendiuretika in einer hohen Dosierung und in kurzer Zeit dem Organismus zugeführt, können sie das Innenohr dauerhaft schädigen. Der Griff zu einem Arzneimittel sollte immer wohlüberlegt sein, indem man die Risiken gegen die Heilwirkung abwägt.

 

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» Teil 2: Schwerhörigkeit – Rauchen ist fast genauso schlimm wie Lärm
» Teil 3: Gift für nicht nur für unsere Leber: Schadstoffe und Alkohol schädigen auch Ihr Ohr
» Teil 4: Wie Sie Ihr Gehör schützen können

 

© KOJ hearing research center, Dr. Alexandra Kupferberg