Dieser Betrag wurde von Klaus Ehringfeld verfasst und veröffentlicht in der Frankfurter Rundschau.
Café ohne Worte wird Mitte 2017 eröffnet
Wer etwas bestellen will, ruft den Kellner, indem er den Schalter umlegt und es leuchten lässt. Denn wenn der Gast im Café „Sin palabras“ in Bogotá einen Kaffee oder ein Bier wünscht, dann kommt er mit Worten nicht weit. In der Kaffeebar „Ohne Worte“ in der kolumbianischen Hauptstadt arbeiten nur taubstumme Kellner. Es ist ein Ort von und für Hörgeschädigte, aber Jedermann ist willkommen, ob er hören kann oder nicht.
Vor einem halben Jahr hat das Café ohne Worte eröffnet. „Und es ist jeden Tag voll“, sagt Christian Melo, einer der drei Eigentümer. Melo ist an diesem Tag der einzige aus der Belegschaft, der nicht taubstumm ist. Aber der 32-Jährige beherrscht auch die Gebärdensprache, bespricht sich gestenreich mit seinen Kellnern, macht die Abrechnungen, hilft bei unüberbrückbaren Kommunikationsproblemen mit den Gästen. „Das hier ist ein Platz für Inklusion“, sagt Melo und fügt hinzu: „Hier dreht sich die Welt einmal anders herum.“
In seinem Geschäft sollen die Hörenden sich den Nichthörenden anpassen. „Umgekehrtes Lernen“ nennt er das. So sähen die Hörenden mal, wie es den Schwerhörigen und Tauben draußen in der Welt jeden Tag ergeht.
Wenn der Gast die Lampe über seinem Tisch anknipst, bringt Kellner Juan Carlos die Karte. Im Selbstversuch wird schnell deutlich: die große Herausforderung ist es, mit den Augen zu hören und den Händen zu sprechen. Wer die Gebärdensprache nicht beherrscht, stößt rasch an seine Grenzen. Aber hier hilft der Blick in die Karte. Neben Getränken sind dort die grundlegenden Gesten der Taubstummensprache verzeichnet.
Also begrüßt man den Kellner, als er die Bestellung aufnehmen will mit einem „Hallo“, indem man die flache Hand abgewinkelt an die Stirn führt. Fast wie bei einem militärischen Gruß. Juan Carlos lächelt, Daumen hoch, alles klar. Aber einen Cappuccino bestellt man dann doch besser durch Zeigen auf der Karte.
Im Café ohne Worte sitzen Paare oder größere Gruppen zusammen. Sie unterhalten sich angeregt, gestikulieren mit schnellen und eingeübten Handbewegungen. Sie fühlen sich sichtlich wohl. Als Kellner Juan Carlos den Kaffee bringt, ist dieser bereits gesüßt, wie es in Lateinamerika manchmal passieren kann.
Weltweit, sagt Inhaber Melo, gebe es nur fünf andere Cafés oder Kneipen für Hörgeschädigte. Lediglich in England, Frankreich, Kanada, Nicaragua und Argentinien existieren Freizeit- und Vergnügungsorte von und für Taubstumme.
Aber wie kommt ein Hörender auf die Idee, ein Café für Taubstumme zu eröffnen? Melo lacht: „Zufall, die Suche nach einer Geschäftsidee und das Gefühl, etwas Gutes tun zu wollen.“ Er habe eines Tages zwei Taubstumme kennengelernt, begann sich für das Thema zu interessieren, beriet sich mit seiner Frau und seinem Bruder. Und so entstand die Idee für „Sin palabras“.
Mitte Juni eröffnete das Café im zentralen Stadtteil Chapinero von Bogotá, umgeben von Heavy-Metal-Clubs, Schwulen-Bars und hippen Restaurants. Wie groß das Bedürfnis nach einem Ort für Taubstumme war, merkt Melo jeden Tag. Sein Laden ist immer voll. Tagsüber und unter der Woche ist es ein normales Café. Am Wochenende organisiert er Discoabende, bei denen die Gehörlosen auf den Holzbohlen im hinteren Teil des Cafés tanzen können, weil sie dort die Vibration spüren. „Es ist das erste Mal, dass ich Musik überhaupt empfinden kann“, erklärt die 25-jährige Diana langsam in Gebärdensprache. Sie lacht, und ihr Augen sagen: Das hat uns hier gefehlt, hier fühle ich mich wohl. Alleine in Bogotá leben 54.000 Menschen mit Hörschädigungen. Landesweit sind es laut Volkszählung von 2005 sogar 455.718 Gehörlose und Hörgeschädigte.
Auch deshalb hat sich das Café „Sin palabras“ schnell zu einem Treffpunkt und Kulturzentrum erweitert. Melo und seine Compagnons organisieren Ausstellungen und Poesie-Abende, bei denen Taubstumme ihre Gedichte in Gebärdensprache vortragen. Regelmäßig treffen sich auch Hörende hier und nehmen Unterricht, weil sie Gebärdendolmetscher werden wollen. „Wir wollen zeigen, wie stolz, talentiert und durchsetzungsfähig hörgeschädigte Menschen sind“, sagt Cristian Melo.
Wir sind schon zufrieden, wenn die Hörenden nach einem Besuch bei uns sensibilisiert nach Hause gehen und vielleicht die eine oder andere Geste in Gebärdensprache gelernt haben“, sagt Melo. Und wie bestellt man nun in Gebärdensprache einen Kaffee ohne Zucker? „Mit dem Zeige- und Mittelfinger am Kinn“.
Fazit Dr. Alexandra Kupferberg
Das Sin Palabras Café Sordo – Ohne Worte Gehörlosencafé – ist die erste Bar in Kolumbien, die für Gehörlose konzipiert wurde. Interessanterweise befindet sich die Bar zwischen Heavy-Metal-, Schwulen- und Reggae-Lokalen in Chapinero, einem coolen Szeneviertel im Osten Bogotás. Kunden können auf Gebärdensprache Getränke bestellen, während sie auf großen Bildschirmen Musikvideos anschauen, die mit Gebärdensprachübersetzungen versehen sind. Auf der Tanzfläche treffen sie auch auf Hörende Kunden – mit diesen reden sie mit Händen und Gesichtern.