DerStandard – Andreas Grote.
Ohrgeräusche wie der Tinnitus sind weit verbreitet. Manchmal bleiben sie ein Leben lang. Medikamente dagegen gibt es nicht. Sich damit zu arrangieren klappt am besten.
Liveauftritte, Studioaufnahmen, Stress auf der Tour: Viele Musiker wie Sting, Phil Collins, Barbra Streisand oder Eric Clapton hören auch dann noch Töne, wenn es eigentlich schon wieder ganz still sein sollte. Sie haben unentwegt ein Klingeln, Brummen, Sausen, Pfeifen oder Hämmern im Ohr. Immer. Nicht viel anders geht es vielen ihrer Fans: Etwa 15 bis 20 Prozent der Österreicher leiden unter ständigem Störgeräusch im Ohr, einem Tinnitus.
Bei vielen Älteren taucht der pfeifende Dauerton begleitend zum natürlich abnehmenden Hörvermögen auf. Bei Jüngeren geschieht dies eher durch einen Innenohrschaden, wenn die feinen Sinneszellen zum Beispiel eben durch laute Musik, aber auch laute Arbeitsumgebung, einen Knall, Stress oder eine unbehandelte Ohrentzündung geschädigt werden und forthin Störsignale an das Gehirn senden. Das kann damit nicht richtig umgehen und sendet den Dauerton.
Dabei gibt sich der Körper größte Mühe, dem Dauerton zu entkommen, indem er versucht, die Sinneszellen zu regenerieren. «Bei etwa drei von vier Betroffenen lassen die Ohrgeräusche innerhalb weniger Tage spontan wieder nach, meist ohne bleibenden Schaden», sagt der Wiener HNO-Facharzt Tilman Keck. Nach ein bis zwei Wochen ist er meist komplett verschwunden.
Ab zum HNO-Arzt
Ist das Störgeräusch allerdings sehr laut und lässt auch nach 48 Stunden nicht nach, sollte ein HNO-Arzt aufgesucht werden, um einen Hörsturz auszuschließen. Dieser müsse dann nämlich im akuten Stadium mit Kortison therapiert werden, damit keine Hörminderung zurückbleibt.
Ist es der Tinnitus alleine, bleibt nur abzuwarten, denn weder für den akuten noch chronischen Fall liefern Studien Belege, dass Medikamente helfen. Erst wenn er nach drei Monaten nicht verschwunden ist, gilt der Tinnitus als chronisch.
Wie stark Betroffene dann unter ihrem bleibenden Tinnitus leiden, hängt davon ab, wie sie ihn wahrnehmen. Die meisten Betroffenen können damit gut leben. Viel hängt auch von der Persönlichkeit des Betroffenen ab.
Gesellige stört der Ton meist weniger – Ruheliebende dagegen leiden unter dem Dauerton sehr. Sie rücken den Tinnitus immer stärker in den Mittelpunkt und nehmen ihn dadurch immer stärker wahr. Hinzu kommt die Gewissheit, dass das Ohrgeräusch sehr wahrscheinlich nie mehr wieder verschwindet. Ein Teufelskreis entsteht.
Lautstärke ändert sich nicht
Wichtig ist es dann, so früh wie möglich mit dem Arzt darüber zu sprechen. «Je länger die Leidensphase dauert, umso mehr steigert sich der Patient in den Tinnitus hinein. Die psychische Anspannung ist dann oft gravierender als der Tinnitus selbst», sagt Keck. In der Folge leiden Schlaf, Alltag, Arbeit und soziale Kontakte darunter. Bei hohem Leidensdruck kann allenfalls über kurze Zeit ein Antidepressivum gegeben werden, um Bewältigung und Schlaf zu verbessern.
Schaut man sich Studien an, die untersuchen, welche Therapien bei Tinnitus nachweislich einen Nutzen haben, dann steht ein Gespräch mit dem Arzt immer mit ganz oben. Er erklärt den Betroffenen, wie der Tinnitus zustande kommt, dass er kein Anzeichen einer bedrohlichen Krankheit ist und dadurch keine weitere Schwerhörigkeit oder gar Gehörlosigkeit entsteht.
Genauso wichtig für Betroffene ist, dass sich die Lautstärke des Tinnitus nicht ändert, er aber in manchen Situationen wie Stress oder Müdigkeit stärker wahrgenommen wird. Keck: «Meine Tinnituspatienten kommen oft, um einfach zu reden, das tut ihnen meist sehr gut, weil sie sich dadurch ernst genommen fühlen».
Verhaltenstherapie hilft
In vielen Fällen lässt sich der Tinnitus mit technischen Hilfsmitteln «maskieren»´. Sogenannte Masker oder Noiser, die optisch an ein Hörgerät erinnern, erzeugen ein individuell einstellbares neutrales Rauschen, das den Tinnituston zwar nicht überlagert, ihm aber die Präsenz nimmt und aus dem Fokus der Wahrnehmung rückt. So kann sich das Gehirn wieder auf normale Umweltgeräusche konzentrieren.
Aufwendiger, aber hoch effektiv ist die kognitive Verhaltenstherapie. «Sie zeigt dem Betroffenen, wie er selbst etwas gegen den Tinnitus tun kann, indem er ihn umbewertet, was zu mehr Gelassenheit gegenüber dem Ohrgeräusch führt», sagt Roland Moschèn, Mitarbeiter der Uni-Klinik für Medizinische Psychologie, Innsbruck.
Dazu gehören auch Entspannungstechniken und ein gutes Stressmanagement für Arbeit und Familie. «Hier ist das Erlernen eines Entspannungsverfahrens wie zum Beispiel der Progressiven Muskelrelaxation eine wirkungsvolle Hilfe». Der Aufwand lohnt sich: Etwa 80 Prozent empfinden den Tinnitus nach der kognitiven Therapie als weniger störend –und gewinnen wieder mehr Lebensfreude. (Andreas Grote, 3.3.2021)