Hörsysteme und Implantate

Spektrum Hören

Mechanische Hörhilfen
Die einfachste und preisgünstigste Hörhilfe, die der Mensch immer mit sich führt, ist die hohle Hand, die hinter die Ohrmuschel gehalten wird. Jahrhundertelang standen hörbeeinträchtigten Menschen nur mechanische Hörhilfen zur Verfügung. Die Menschen erfanden Trichter in den verschiedensten Formen, die an das Ohr gehalten wurden. Es gab aber schon beidohrige Versorgungen, bei denen zwei Trichter entweder an ein Brillengestell oder einen Kopfbügel montiert wurden. Ein besonderes Exemplar ist ein Hörstuhl, der anstelle von Armlehnen über zwei grosse Trichter verfügte, die drehbar gelagert waren und auf einen bestimmten Sprecher ausgerichtet werden konnten. Als Beethoven ertaubte, musste auch er Schalltrichter nutzen, die im Bonner Beethovenmuseum ausgestellt sind. Dann gab es Tisch-Hörrohre mit mehreren Schläuchen, sodass mehrere Personen davon profitieren konnten.

 

Kohlemikrofon von Alois Zettler, wohl 1920er-Jahre. Museum für Kommunikation, Frankfurt, Deutschland. Foto von Maximilian Schönherr mithilfe von Lioba Nägele.

Erste elektrische Hörapparate
Der erste Durchbruch bei der Entwicklung der Hörsysteme war die Entdeckung des elektrischen Stroms. 1876 entwickelte Alexander Graham Bell das erste Telefon. Basierend darauf baute Dr. Miller Reese Hutchinson, die rechte Hand von Thomas Alva Edison, 1895 eine elektrische Hörhilfe mit Namen „Akouphon“. Die ersten Hörapparate bestanden nur aus einem Mikrofon, das über eine Kapsel aus Kohlekörnern verfügte, einer Batterie und einem Hörer. Das Kohlekörnermikrofon lieferte die Verstärkung. Es gab keinerlei Einstellmöglichkeiten. Eine höhere Lautstärke war nur durch ein grösseres Mikrofon oder eine stärkere Batterie möglich. Diesen ersten grossen Durchbruch in der Entwicklung der Hörapparate bewirkte die dänische Prinzessin Alexandra, die den englischen König Edward VII. heiratete. Sie war nämlich von Geburt an schwerhörig, und ihr Hörverlust verschlimmerte sich weiter. Als Edward VII. zum König gekrönt wurde, wollte Alexandra gern der Krönungszeremonie akustisch folgen. Es kam der Kontakt zu Miller Reese Hutchinson zustande, der für sie einen Hörapparat entwickelte, dessen Batterie 12 Kilogramm wog. Ein Diener musste dieses schwere Teil während der ganzen Krönungszeremonie tragen. Alexandra konnte aber alles gut verstehen und ihr Bild ging um die ganze Welt. Miller Reese Hutchinson wurde berühmt, wandte sich aber später anderen Entwicklungen zu.

 

 

Die ersten Hörgeräte mit Verstärker
Den nächsten grossen Schritt in der Technologie der Hörgeräte brachte die Entwicklung der Elektronenröhre, die einen elektrischen Verstärker darstellte. So war eine kleinere Bauweise der Hörgeräte möglich. Da die Mikrofone nicht mehr die Verstärkung liefern mussten, konnten andere zum Einsatz kommen, die sich durch eine bessere Sprachübertragung auszeichneten. Die Röhrengeräte benötigten zwei Batterien, eine für den eigentlichen Verstärker und eine Heizbatterie, da Röhren erhitzt werden mussten, um zu funktionieren. Nachteile waren ein hoher Stromverbrauch und ein hohes Gewicht.

Den nächsten bedeutenden Entwicklungsschub bewirkte die Erfindung des Transistors, der deutlich kleiner als die Elektronenröhre war und eine ähnliche Wirkungsweise zeigte. Der Transistor benötigte auch keine Heizspannung mehr. Bereits 1953 gab es die ersten reinen Transistorgeräte. Schon 1958 kamen die ersten Hinter-dem-Ohr-Geräte auf den Markt, wobei die ersten noch einen externen Hörer hatten, wie er auch für die sogenannten Taschengeräte verwendet wurde. Nachdem der Hörer in das Gehäuse integriert werden konnte, wurden die Mikrofone aus Platz- und Rückkopplungsgründen unten im Gehäuse oder auf der Rückseite untergebracht, was für den Hörgeräteträger ungünstig war, da sich der Gesprächspartner ja normalerweise vor ihm befand.

 

Man kann durchaus sagen, dass der Transistor die wichtigste Erfindung des 20. Jahrhunderts war.

Die Entwicklung schreitet voran
Danach schritt die Entwicklung immer schneller voran. Die Hörgeräte erhielten Einstellmöglichkeiten über kleine Schräubchen am Gerät. 1966 begann die Entwicklung von In-dem-Ohr-Geräten. Die Bauteile für die Verstärker wurden immer kleiner, sodass die Geräte kleiner werden konnten. Die maschinelle Fertigung hielt schliesslich Einzug in die Hörgeräteproduktion. Ende der 1980er-Jahre kamen die ersten programmierbaren Hörgeräte auf den Markt, die zwar noch mit Analogtechnik arbeiteten, aber über einen digital programmierbaren Chip verfügten. Es standen mehrere Programmiersysteme zur Verfügung, die nicht miteinander kompatibel waren. Der Vorteil dieser Technologie war, dass die Hörgeräte jetzt erweiterte Einstellmöglichkeiten erhielten, darunter mehrere getrennt programmierbare Frequenzbereiche und bei einem System auch mehrere Hörprogramme, die der Hörgeschädigte über eine Fernbedienung aufrufen konnte. Die Hörgerätehersteller mussten sich entscheiden, welchem System sie sich anschliessen wollten und ein Anpassprogramm für die eigenen Geräte entwickeln. Dieses wurde dann in einem EEPROM (elektrischer programmierbarer Speicher) in Form eines Steckers gespeichert, der in die entsprechende Programmierbox gesteckt wurde.

 

Schliesslich begannen vier Hörgerätehersteller die Software Noah zu entwickeln, die eine gemeinsame Datenbank für die Kundendaten bot sowie eine Plattform, unter der die Anpassmodule der verschiedenen Hörgerätehersteller installiert werden konnten. Inzwischen haben sich mehr als 100 Hersteller von Hörgeräten, audiologischen Messsystemen und andere angeschlossen.

Die Digitaltechnik im Hörgerät
Seit der Einführung der digitalen Signalverarbeitung in die Hörgeräte schreitet die Entwicklung neuer Produkte immer schneller voran. Es sind jetzt vielfältige Funktionen verfügbar, die mit der Analogtechnik aus Platzgründen nicht möglich gewesen wären. Trotz der vielen neuen Algorithmen werden die digitalen Verstärkerchips immer kleiner, sodass heute ein neu entwickeltes Produkt häufig in allen Bauformen vom Hinter-dem-Ohr-Gerät bis zum kleinsten Gehörgangsgerät verfügbar ist. Die Geräte unterscheiden sich je nach Grösse in der Verstärkung und einigen besonderen Funktionen, die aus Platzgründen bei sehr kleinen Geräten nicht möglich sind. Aufgrund der vielfältigen Eigenschaften und Anschlussmöglichkeiten spricht man heute nicht mehr von „Hörgeräten“, sondern von „Hörsystemen“ und man darf gespannt sein, was die Zukunft für hörbeeinträchtigte Menschen noch alles bereithält.

Thomas Alva Edison