Spiegel ■
Sie können Rad fahren und erkunden Städte: Einige Blinde können sich hervorragend über Schnalzlaute und deren Echos zurechtfinden. Wissenschaftler haben nun untersucht, wie präzise diese Technik ist.
Echoortung ist ein Technik, die Blinden erstaunliche Möglichkeiten eröffnet. Mit speziellen Lauten können sie sich sehr gut orientieren. Sie schnalzen mit der Zunge und erkennen an den zurückgeworfenen Echos, wie ihre Umgebung gestaltet ist – dabei können sie sogar Gegenstände wie Bäume oder Autos unterscheiden, da sie verschiedene Echos zurückwerfen. Die Technik können schon kleine Kinder lernen – sie passen die Anzahl und die Lautstärke der Schnalzlaute an die Situation an.
Bekannt ist die Echoortung eigentlich aus dem Tierreich – von Fledermäusen und einigen Walarten. Auch Radar und Sonar basieren auf dem Prinzip. Wie erfolgreich Blinde die Technik anwenden können, haben nun Forscher in einer Studie untersucht, die im Fachjournal «Proceedings B» der britischen Royal Society erschienen ist.
Das Team um Lore Thaler von der University of Durham (Großbritannien) testete in einem schallschluckenden Raum, wie gut acht blinde Probanden – darunter eine Frau – durch Schnalzen und Hören die Position einer Scheibe ausmachen konnten.
Erfolgsquote bis zu 95 Prozent
Von Fledermäusen, die sich auf ähnliche Weise orientieren, ist bekannt, dass sie die Ausformung ihrer Ultraschallschreie verändern, wenn sie beispielsweise kaum Echos hören. Das Team um Thaler wollte herausfinden, inwiefern auch Menschen ihre Methode der Echoortung anpassen. Dazu verwendeten sie eine Holzscheibe mit einem Durchmesser von 17,5 Zentimetern, die sie in einer Entfernung von 100 Zentimetern an verschiedenen Stellen von der Versuchsperson weg platzierten: geradeaus (Winkel 0 Grad), schräg vorne (45), seitlich (90), schräg hinten (135) sowie ganz hinten (180). Bei der Hälfte der Versuche war keine Scheibe vorhanden.
Zusammengenommen erkannten die Probanden die Scheibe zu mehr als 95 Prozent, wenn sie sich im vorderen Halbkreis befand (0 bis 90 Grad). Wenn die Scheibe schräg hinten stand, wurde das in 80 Prozent der Fälle erkannt. Nur wenn die Holzscheibe genau hinter den Studienteilnehmern angebracht war (180 Grad), lag die Erfolgsquote nicht höher als bei Zufallstreffern.
Bei der Ortung im vorderen Halbkreis kamen die Versuchspersonen mit durchschnittlich vier Schnalzlauten aus, um das Objekt zu lokalisieren. Bei 135 Grad stieg die Anzahl auf mehr als acht Laute, bei 180 Grad auf mehr als zehn.
Auch die Intensität der Schnalzlaute nahm mit steigendem Winkelgrad zu: Bei 0 Grad betrug der durchschnittliche Schalldruckpegel knapp 76 Dezibel und erreichte bei 180 Grad fast 83 Dezibel. Zum Teil konnten die Teilnehmer die Scheibe auch dann noch orten, wenn das Echo 27 Dezibel geringer ausfiel als der Schnalzlaut.
Technik soll auch an lauten Orten funktionieren
Aus akustischen Modellen war zuvor errechnet worden, dass dieser Unterschied höchstens 22 Dezibel betragen könne. Um die Lautstärke der Echos zu messen, hatten die Wissenschaftler bei den Probanden Mikrofone direkt neben dem Ohr befestigt.
Keine Veränderungen je nach Position der Holzscheibe fand die Gruppe um Thaler bei der Dauer der Schnalzlaute und der Zeiträume zwischen den Lauten. Auch an der Schallfrequenz änderte sich nichts. Die Forscher schliessen aber nicht aus, dass bei einem anderen Versuchsaufbau auch bei diesen Parametern Anpassungen vorkommen. So durften die Versuchspersonen ihren Kopf nicht drehen, was sie aber in einer Alltagssituation sehr wohl tun würden.
Das Prinzip der Echoortung soll auch technisch für die Orientierung blinder Menschen genutzt werden. Bochumer Forscher stellten im vergangenen Jahr ein Projekt vor, bei dem Radarmessungen in Töne übersetzt werden. Das Bochumer Blindenradar soll, anders als Ansätze mit optischen Sensoren oder Sonargeräten, auch an lauten Orten funktionieren.
Mit der menschlichen Echoortung hatten sich Forscher schon häufiger befasst. So erkundete ein Team um Thaler in einer früheren Studie, welche Hirnbereiche für die Anwendung der Technik eine Rolle spielen. Dabei entdeckten sie, dass vor allem der visuelle Cortex aktiviert wird – ein Bereich der Grosshirnrinde, der normalerweise mit dem Sehen verknüpft ist.