Wie geht unser Gehirn beim Erlernen einer neuen Sprache im Erwachsenenalter vor? Eine Studie an Epilepsiepatienten hat Forschern nun Einblicke darin gewährt, wie das Gehirn die Aufgabe bewältigt, neue Lautsysteme zu lernen, ohne dabei bestehende Sprachfähigkeiten zu beeinträchtigen. Es zeichnet sich demnach eine neuronale Feinabstimmung ab, die mit der Balance zwischen Plastizität und Stabilität verbunden ist. Somit könnte eine individuelle Neigung zu mehr Stabilität im Kopf mit größeren Sprachlernschwierigkeiten verbunden sein.
Im Erwachsenenalter noch eine Fremdsprache zu erlernen, ist bekanntlich schwierig und die entsprechende Begabung individuell unterschiedlich. Doch warum? Bei dieser Frage ist zunächst ein Blick auf die Grundlagen sinnvoll: Beim Lernprozess machen wir uns anfangs mit den neuen Klängen vertraut, die sich je nach Art der Sprache mehr oder weniger stark von den uns bereits bekannten Sprachlauten unterscheiden. „Das Vertrautmachen ist ein entscheidender Schritt beim Erlernen einer Sprache – bisher ist diese Phase aber kaum erforscht. Im Rahmen unserer Studie haben wir deshalb nun beleuchtet, was in den Gehirnregionen passiert, die an der Unterscheidung von Lauten in dieser Anfangsphase des Lernens beteiligt sind“, sagt Seniorautor Matthew Leonard von der University of California in San Francisco.
Epilepsiepatienten unterstützen die Hirnforschung
Die Einblicke wurden den Forschern von zehn erwachsenen Epilepsiepatienten gewährt, denen im Rahmen ihrer Behandlung Elektroden ins Gehirn implantiert worden waren, um die Quelle ihrer Anfälle zu lokalisieren. Diese Sensoren ermöglichten es den Wissenschaftlern, die Aktivität von bestimmten Nervengruppen in verschiedenen Bereichen des Gehirns der Studienteilnehmer detailliert zu erfassen. Im Fokus stand dabei ein Hirnbereich, dessen Bedeutung bei der Sprachfähigkeit bekannt ist. Das Ziel der Wissenschaftler war es nun, zu erfassen, wie sich die neuronale Aktivität verändert, während ein Mensch mit den Klängen einer Fremdsprache vertraut wird.
Die Probanden, deren Muttersprache Englisch ist, wurden dazu mit Sprachlauten der chinesischen Sprache Mandarin konfrontiert. Dies stellt eine besondere Herausforderung dar, denn es handelt sich um eine tonale Sprache: Die Bedeutung eines Wortes hängt nicht nur von den Vokal- und Konsonantenlauten ab, sondern auch von subtilen Veränderungen in der Tonhöhe der Stimme. So hat etwa die Silbe „ma“ eine andere Bedeutung, je nachdem, ob sie mit ansteigendem oder abfallendem Ton ausgesprochen wird. Für Sprecher nicht-tonaler Sprachen wie Englisch ist es schwierig, diese ungewohnten Klänge korrekt zu erfassen.
Für die Studie sollten die Probanden in Aufnahmen von verschiedenen Mandarin-Sprechern erkennen, wie diese eine bestimmte Silbe aussprachen: Nach jedem Höreindruck gaben sie an, ob sie der Meinung waren, dass der Ton ansteigt, abfällt oder gleich bleibt, und erhielten eine Rückmeldung, ob sie richtig lagen. Die Patienten wiederholten diese Aufgabe etwa 200-mal in mehreren fünf- bis zehnminütigen Sitzungen. Dadurch übten sie sich darin, die Töne zu kategorisieren – allerdings zeigten sich dabei Leistungsschwankungen, berichten die Forscher: „Oft wurde eine Reihe von Versuchen von den Probanden gut gemeistert, dann fingen sie an, eher falsch zu liegen, und dann machten sie es wieder richtig – eine Art von Auf und Ab, das Teil des Lernprozesses zu sein scheint“, sagt Leonard.
Feinabstimmungsprozess
Wie die Forscher erklären, könnte diese Leistungsschwankung mit den Ergebnissen ihrer neuronalen Auswertung in Zusammenhang stehen. Demnach zeichnete sich ein überraschendes Muster bei dem fundamentalen Lernprozess des fremden Lautsystems ab. Bisher vermutete man, dass die Aktivität im gesamten Sprachkortex zunimmt, wenn eine Person es mit einer Sprache zu tun hat, die ihm zunehmend vertraut wird. Die Wissenschaftler entdeckten nun stattdessen ein Spektrum von Veränderungen in diesem Hirnbereich, wobei die Aktivität in Reaktion auf bestimmte sprachliche Höreindrücke in einigen Teilen zunahm, während sie in anderen abnahm. „Es ist, als ob kleine Gruppen von Neuronen unterschiedliche Rollen übernehmen würden“, sagt Erstautor Han Yi von der University of California in San Francisco. Dabei scheint sich ein sorgfältig austariertes Gleichgewicht einzustellen: „Diese neuronalen Einheiten kommunizierten alle miteinander, um den Punkt zu erreichen, an dem sie die Aufgabe durch Zusammenarbeit korrekt ausführen können“, sagt Leonard.
Die Wissenschaftler sehen darin ein Muster, das mit dem „Balanceakt“ beim Lernen von Neuem zu tun hat: Unser Gehirn muss die Neuroplastizität – die Fähigkeit, beim Lernen neuer Dinge neue Verbindungen zwischen den Neuronen herzustellen – mit der Stabilität vereinbaren, die es uns ermöglicht, die integrierten Netzwerke der bereits gelernten Dinge beizubehalten. „Wenn wir eine neue Sprache lernen, muss unser Gehirn beides irgendwie unter einen Hut bringen, während die Anforderungen dabei miteinander konkurrieren. So ist es möglich, das Mandarin-Tonsystem zu erlernen, ohne dass die Fähigkeit beeinträchtigt wird, die Tonhöhe in Englisch oder in der Musik wahrzunehmen“, so Leonard. Die nun aufgezeigten neuronalen Spuren der Feinabstimmung scheinen mit diesem Kompromiss verbunden zu sein, erklären die Forscher.
Die Ergebnisse liefern ihnen zufolge damit auch Hinweise auf die Hintergründe der unterschiedlichen sprachlichen Begabungen von Menschen. Denn ihre Ergebnisse verdeutlichten, dass die neuronalen Prozesse beim Vertrautwerden mit dem neuen Tonsystem von Person zu Person unterschiedlich sind. Manche Menschen lernen demnach neue Laute leichter als andere, da jedes individuelle Gehirn sein eigenes Gleichgewicht zwischen der Aufrechterhaltung der Stabilität der Muttersprache und der zum Erlernen einer neuen Sprache erforderlichen Plastizität findet. „Es scheint, als ob das Gehirn jeder Person einen einzigartigen Satz von Stellknöpfen hat, die fein abgestimmt werden, während sie mit neuen Tönen vertraut werden“, sagt Leonard.
Quelle: University of California in San Francisco