Damit wir aktuelle Sinneseindrücke mit unserem Wissen und unseren Erinnerungen kombinieren können, laufen in unserem Gehirn Informationen aus verschiedenen Arealen zusammen. Doch wie schaffen es die neuronalen Schaltkreise, die eingehenden Informationen zu koordinieren und immer wieder neue Verbindungen einzugehen? Diese Frage haben Forscher nun an Mäusen untersucht. Demnach sorgen offenbar spezielle Zellen im Hippocampus dafür, dass sich zuvor synchronisierte Hirnareale wieder entkoppeln, sodass zu unterschiedlichen Zeitpunkten verschiedene Arten von Informationen übertragen werden können.
Wenn unser Gehirn Informationen verarbeitet, vernetzen sich verschiedene Hirnareale. Dabei geben die beteiligten Nervenzellen ihre elektrischen Signale in einer bestimmten Frequenz weiter und schaffen so einen gemeinsamen Rhythmus. Die bewusste Wahrnehmung wird mit Hirnwellen schneller Frequenz in Verbindung gebracht, den sogenannten Gammawellen. Frühere Forschungen haben bereits gezeigt, dass jeweils bestimmte Zelltypen dafür zuständig sind, bestimmte Frequenzen zu erzeugen. Unklar war bislang allerdings, wie sich die auf diese Weise synchronisierten Gehirnareale wieder entkoppeln, um Raum für andere Signale zu schaffen.
Unterbrecher der Synchronisation
Mit dieser Frage hat sich nun ein Team um Ece Sakalar von der Medizinischen Universität Wien in Österreich beschäftigt. Um die Hirnzellen bei der Arbeit zu beobachten, fixierten die Forscher den Kopf von wachen Mäusen und maßen die Aktivität ihrer Nervenzellen im sogenannten CA1-Bereich des Hippocampus, einer zentralen Schaltstelle des Gehirns. Dabei beobachteten sie einen bestimmten Typ von hemmenden Nervenzellen, die jeweils in bestimmten Phasen der Gamma-Wellen feuern und auf diese Weise den synchronisierten Rhythmus stören.
„Diese Zellen identifizierten wir als Neurogliaformzellen“, berichten die Forscher. Dabei handelt es sich um einen Zelltyp, dessen Funktion bislang noch nicht geklärt war. „In unseren präklinischen Experimenten haben wir nun entdeckt, dass diese Zellen durch kurzzeitige Hemmung anderer Zelltypen dafür sorgen, dass gegenwärtige Wahrnehmung und Erinnerungen an vergangene Erlebnisse sowohl getrennt voneinander, aber auch kombiniert verarbeitet werden können“, erläutert Sakalars Kollege Balint Lasztoczi.
Wahrnehmung und Erinnerung vereint und getrennt
Auf diese Weise kann das Gehirn quasi zwischen verschiedenen Eingangskanälen umschalten – ähnlich wie wir beim Radio verschiedene Sender auswählen können. Die Forscher vermuten, dass eben dieser Mechanismus uns ermöglicht, Sinneswahrnehmungen mit Erinnerungen zu verknüpfen und sie zugleich unterscheiden zu können. Betrachten wir beispielsweise ein Foto unserer Großmutter und fühlen uns dabei an den Duft ihrer Kekse erinnert, ist uns dabei bewusst, was tatsächlich erlebt und was nur erinnert wird.
Die störungsfreie Regulation der verschiedenen Informationsflüsse ist eine Grundlage für ein funktionierendes Nervensystem. Bei verschiedenen neuropsychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie oder Autismus kommt es bei der Abstimmung der Hirnwellen jedoch zu Fehlern. Daher verschwimmt zum Beispiel bei Schizophrenie-Patienten die Abgrenzung zwischen den eigenen Gedanken und den Eindrücken aus ihrer Umwelt. Die Erkenntnis, dass die Neurogliaformzellen eine Art Ampel im Verkehrsfluss der Informationen darstellt, könnte womöglich neue Behandlungsansätze für diese Erkrankungen eröffnen. Zukünftige Forschungen sollen klären, inwieweit sich diese Zellen durch Medikamente beeinflussen lassen, um womöglich die Symptome neuropsychiatrischer Erkrankungen zu mildern.