ADHS und Hörprobleme können verwechselt werden – Newsletter 11.2019

Mit jedem Jahr nimmt die Anzahl der Kinder zu, bei denen eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) diagnostiziert wird. Ein möglicher Grund für diesen Anstieg kann der ständig zunehmende schulische Druck auf Kinder sein. Sie müssen immer bessere Leistungen bringen, die Zeit im Auge behalten, sich organisieren, gelernte Prinzipien anwenden und komplexe Inhalte analysieren.

 

Was ist ADHS?

ADHS ist eine unspezifische psychiatrische Erkrankung, die eine Reihe von Symptomen umfasst, die manchmal eher vage wirken und denen verschiedene Ursachen zugrunde liegen können. Durch folgende Verhaltensweisen fällt ein Kind mit ADHS auf:

  • Vernachlässigt Details oder macht Flüchtigkeitsfehler bei Schularbeiten oder anderen Aktivitäten
  • Hat Schwierigkeiten, den Fokus bei unangenehmen oder schwierigen Aufgaben oder Aktivitäten aufrechtzuerhalten
  • Scheint manchmal nicht zuzuhören, wenn man mit ihm spricht
  • Befolgt ungerne Anweisungen und hat Schwierigkeiten, Aufgaben zu Ende zu führen
  • Hat Schwierigkeiten bei der Organisation von Aufgaben und Aktivitäten
  • Vermeidet Aufgaben, die eine nachhaltige geistige Anstrengung erfordern
  • Ist leicht ablenkbar
Dr. Kupferberg erklärt das komplexe Thema in einem kurzen Video.
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Kann Hörverlust bei Kindern wie ADHS aussehen?

Eine der grössten Schwierigkeiten für Kinder mit ADHS im Bereich der schulischen Leistung beruht auf Aufmerksamkeitsproblemen: Sie haben Schwierigkeiten, sich auf die relevanten auditorischen Reize zu konzentrieren, wie zum Beispiel die Anweisungen des Lehrers, insbesondere wenn es laut im Klassenzimmer ist. Es wird geschätzt, dass etwa 75 % des Schultages für Höraktivitäten aufgewendet werden. Wenn ein Kind dem Lehrer nicht zuhören kann oder den Lehrer nicht versteht, wird es Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren, aufmerksam zu sein und die Aufgaben richtig zu erledigen. Schauen wir uns einige Auswirkungen der Unaufmerksamkeit an: „Schenkt dem Detail keine besondere Aufmerksamkeit“, „Hat Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit zu halten“, „Scheint nicht zuzuhören“, „Befolgt nicht die Anweisungen“. Alle diese Verhaltensweisen können auch durch einen Hörverlust erklärt werden. Kinder mit Hörbehinderung haben es schwer, aufmerksam zu sein, da das Zuhören anstrengend ist. Das Verpassen von Gesprächsdetails kann durch die mangelnde Konzentration des Kindes verursacht werden, weil es dem Gespräch einfach nicht folgen kann. Wenn man Symptome der ADHS wie Hyperaktivität betrachtet, können das Zappeln und Nicht-ruhig-sitzen-Können daraus resultieren, dass das Kind Arbeitsanweisungen nicht versteht und sich langweilt. Und schliesslich könnte ein Kind andere unterbrechen, weil es nicht hört, dass gerade gesprochen wird.

Die Zunahme der Anzahl der ADHS-Diagnosen könnte also auch darauf beruhen, dass es Überschneidungen mit Hörverlust gibt. Schon ein leichter Hörverlust kann dazu führen, dass ein Kind bis zu 50 Prozent des Gesagten im Klassenzimmer verpasst. Eltern fällt manchmal auf, dass gerade in einer Gruppe von Kindern ein ADHS-Kind anscheinend nicht mitbekommt, was gesagt wurde.

 

Einige Indikatoren für Hörverlust, die mit denen für ADHS verwechselt werden können, sind unter anderem:

  • Schlechte schulische Leistungen
  • Unachtsamkeit
  • Keine Reaktion, wenn man angesprochen wird
  • Unangemessene Antworten auf Fragen 
  • Geringes Selbstwertgefühl
  • Schwierigkeiten bei sozialen Interaktionen

Diese Ähnlichkeit könnte dazu führen, dass beide Erkrankungen miteinander verwechselt werden. Es gibt Kinder, bei denen ADHS diagnostiziert wird, obwohl nie ein ausführlicher Hörtest durchgeführt wurde. Oder ein Kind hat tatsächlich ADHS, seine Symptome sind aber zum grossen Teil auf den Hörverlust zurückzuführen. Insbesondere wenn der Arzt wenig Erfahrung mit den Auswirkungen von Hörverlust auf das Verhalten von Kindern hat, ist Letzteres vorstellbar. Die Durchführung von mehrstufigen Anweisungen und die Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit während mündlicher Präsentationen können für Kinder mit ADHS oder mit unentdecktem Hörverlust gleichermassen problematisch sein.

In einigen Fällen kann ein Kind von beiden Erkrankungen betroffen sein, aber es ist wichtig, den Grund für die schlechte Schulleistung oder Unachtsamkeit eines Kindes genau zu bestimmen, um eine Fehldiagnose von ADHS und eine unnötige medikamentöse Therapie zu vermeiden.

 

Eine Schwerhörigkeit und das Aufmerksamkeitsdefizit sind nur schwer voneinander zu unterscheiden
Eine Schwerhörigkeit und das Aufmerksamkeitsdefizit sind nur schwer voneinander zu unterscheiden

Diagnose ist der Schlüssel zum Erfolg

Eine genaue Diagnose einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) ist der Schlüssel zur Verbesserung der schulischen Leistungen eines Kindes, gefolgt von einer angemessenen Intervention und Behandlung. Bei Kindern mit Hörverlust und ADHS wird der Hörverlust tendenziell zuerst diagnostiziert, dank obligatorischer Hörscreening-Programme für Neugeborene und beobachtbarer Verhaltensweisen, die aufmerksamen Eltern schnell auffallen. Die Prüfung auf Hörverlust und ADHS laufen sehr unterschiedlich ab, und Hörverlust ist viel einfacher zu diagnostizieren und zu quantifizieren als ADHS, wofür eine Beobachtung von Verhaltens- und psychologischen Symptomen und die Beantwortung von vielen Fragebögen notwendig ist.

Es gibt also viele Ähnlichkeiten zwischen ADHS und Hörverlust, aber auch einige wichtige Unterschiede. Beispielsweise können einige Kinder mit Hörverlust Verzögerungen bei der Entwicklung der Sprache haben. Sofern sie keine Früherkennung, Intervention und Behandlung in Form von Hörgeräten oder Cochlea-Implantaten sowie eine Sprachtherapie erhalten haben, hinken sie in diesem Bereich oft Gleichaltrigen hinterher. Im Gegensatz dazu haben Kinder mit ADHS im Allgemeinen eine normale Sprachentwicklung auf Augenhöhe mit ihren Altersgenossen. Ein anderer wichtiger Unterschied zwischen ADHS und Hörproblemen besteht darin, dass bei ADHS zwar das Gesagte gehört, nicht aber umgesetzt wird.

 

Was können Eltern tun?

In Fällen, in denen bereits ein Hörverlust diagnostiziert wurde, ist es wichtig, die Wirksamkeit von Programmen zur Intervention, wie z. B. Hörgeräteversorgung, zu beachten. Wenn Sie glauben, dass Ihr Kind Anzeichen von Hörverlust aufweist, kontaktieren Sie einen Ohrenarzt oder einen Akustiker so bald wie möglich. Beide werden umgehend ein Hörscreening durchzuführen, um festzustellen, ob ein Hörverlust vorliegt, wie stark er ist und welche Ursache dem zugrunde liegen kann. Hörverlust kann erfolgreich mit Hörgeräten und kognitiver Hörtherapie behandelt werden. Ausserdem könnten die Kinder im Klassenzimmer auf eine Weise untergebracht werden, dass sie nicht so viel Hintergrundlärm ausgesetzt werden. Zusätzlich könnten sie von den Lehrern schriftliche Arbeitsanweisungen bekommen.

 

Kann ein kognitives auditorisches Training helfen?

Was kann man tun, wenn man feststellt, dass das Kind trotz gesunder Ohren Probleme mit dem Hören und Verstehen hat? Einige Studien haben gezeigt, dass bei Schwerhörigkeit und auch bei ADHS kognitives Training eingesetzt werden kann, um schulische Leistungen bei Kindern zu verbessern. Durch bestimmte Übungen werden spezifische Fähigkeiten wie Arbeitsgedächtnis oder Verarbeitungsgeschwindigkeit trainiert. Das Training basiert auf der Idee der „Neuroplastizität“, einer relativ jungen Theorie, die davon ausgeht, dass das Gehirn formbar ist und durch Erfahrung in jedem Alter verändert werden kann.

Leider gibt es nicht ausreichend sorgfältig durchgeführte Studien zu Auswirkungen von kognitivem Training auf ADHS, um eine definitive Aussage über die Effektivität zu ermöglichen. Daher ist es notwendig, die Wirksamkeit von Trainings gezielter in randomisierten kontrollierten Studien zu untersuchen. Der Gehirntrainingsansatz der Koj-Gehörtherapie lässt auf vielversprechende Studienergebnisse hoffen, aber diese Art von Training verspricht keine schnelle Lösung; es dauert Wochen bis Monate, bis man die ersten Ergebnisse sehen kann. Deswegen ist bei Kindern mit stark ausgeprägten Symptomen ein ergänzender Behandlungsplan sinnvoll und oft notwendig. Es ist auch denkbar, dass einige Kinder ein Gehirntraining ablehnen, weil grossen Anstrengungen und Zeitaufwand verzögerte Erfolge gegenüberstehen. Daher ist es wichtig, sorgfältig zu evaluieren, welche Auswirkungen die Behandlung hat. Das systematische Feedback von Kindern selbst und auch von Eltern und Lehrern zu den betreffenden ADHS-Symptomen und zu anderen Aspekten des Verhaltens eines Kindes ist unerlässlich, um eine fundierte Entscheidung über den Wert einer Behandlung zu treffen.


Fazit:

Die Verarbeitung des Gehirns ist ein sehr komplexer Prozess und Defizite können sich vielfältig zeigen und meist treten die Konsequenzen im Alltag schleichend und langsam in den Vordergrund, was weitere Veränderungen bedingen kann. Es wundert daher nicht, dass der enge Zusammenhang von Hörminderung und kognitivem Abbau bis hin zur Demenz von Experten unbestritten ist.

In einem Punkt sind sich Alle einig: Das Gehör sollte regelmässig geprüft werden, damit alle Optionen offen bleiben.

 

LINK: KOJ.training/Newsletter/NOV2019