Alzheimer: Erinnerungen sind möglicherweise nur überlagert

Ein spannender Beitrag vom Deutschen Ärzteblatt.

Bonn – Einen Mechanismus, der die gestörte Erinnerung bei einer Alzheimer-Erkrankung mitverursachen könnte, beschreiben Wissenschaftler um Martin Fuhrmann vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Danach stören Nervenzellen im Gehirn, die für neue Erfahrungen zuständig sind, die Signale von Zellen, die Erinnerungen enthalten und legen eigene Signale darüber.

Die Arbeit ist im Fachjournal Nature Neuroscience erschienen (DOI: 10.1038/s41593-020-0652-4).

Die Wissenschaftler konzentrierten sich bei ihrer Arbeit auf den Hippocampus. Dieser für die Erinnerungen essenzielle Bereich des Gehirns ist bei einer Alzheimer-Demenz sehr früh betroffen. Bislang nahm man an, dass die Zellnetzwerke in bestimmten Hippocam­pus-Arealen bei Alzheimer nicht in geeigneter Weise aktiviert werden können, weil sie krankheitsbedingt geschädigt sind und die Erinnerung somit für immer verloren ist. Nach Studien am Mausmodell kommen die DZNE-Wissenschaftler aber zu anderen Schlussfolgerungen.

Dazu erkundeten gesunde Mäuse und solche mit krankhaften Hirnveränderungen, die in ähnlicher Form bei Alzheimer auftreten, eine unbekannte Umgebung. Mit Hilfe einer besonderen Messtechnik – der 2-Photonen-in-vivo-Mikroskopie – konnten die Forscher dabei die Aktivität einzelner Nervenzellen des Hippocampus erfassen.

Wenn die verschiedenen Mäuse ein paar Tage später wieder derselben Umgebung ausgesetzt waren, verhielten sie sich unterschiedlich: Die gesunden Mäuse erkannten die Umgebung wieder, die Mäuse mit Alzheimer-ähnlichen Hirnschädigungen jedoch nicht.

„Bei den Mäusen mit Alzheimer-ähnlichen Krankheitsbild waren beim zweiten Besuch nicht nur Zellnetzwerke aktiv, die Erinnerungen beinhalteten, sondern auch Netzwerke, in denen keine Erinnerungen gespeichert waren und die eine neue Erfahrung verarbeiteten. Dadurch kam es zu einer Überlagerung, also zu Störsignalen“, erläutert die Erstautorin der Arbeit, Stefanie Poll.

In einem weiteren Versuchsschritt veränderten die Wissenschaftler die Nervenzellen gezielt: „Wir konnten die Nervenzellen, die neue Erfahrungen verarbeiteten, gezielt an- und ausschalten, also ihre Aktivität steuern“, erläutert Fuhrmann. Bei den erkrankten Mäusen haben die Forscher diese Zellnetzwerke ausgeschaltet und bei den gesunden Mäusen haben wir sie angeschaltet.“

Auf diese Weise war es möglich, das Störfeuer im Gehirn zu beseitigen beziehungsweise gezielt auszulösen. Dies zeigte sich im Verhalten. „Die Mäuse mit Alzheimer-ähnlichem Krankheitsbild konnten die Versuchsumgebung nun wiederkennen. Ihr Gedächtnis kam zurück. Die gesunden Mäuse hingegen konnten sich jetzt nicht mehr erinnern“, berichtet Poll.

Die Wissenschaftler vermuten hier einen bislang unbekannten Prozess im Gehirn, der zu Gedächtnisstörungen bei Alzheimer beiträgt – was weitreichende Konsequenzen hätte: „Theoretisch könnte das für Therapien der Zukunft bedeuten, dass Alzheimer-Betroffene und Menschen mit Amnesie womöglich ihr Gedächtnis zurückbekämen, indem man bei ihnen mit Hilfe noch zu etablierender Methoden die Aktivität bestimmter Netzwerke von Nervenzellen dämpft.

Andererseits wäre es vielleicht möglich, dass man bei Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen die Aktivität dieser Netzwerke verstärkt und dadurch belastende Erinnerungen überschreibt“, erläutert Fuhrmann.

Der Wissenschaftler betont aber, dass die Arbeiten hierzu noch am Anfang stehen und es sich zum Beispiel erst zeigen müsse, ob sich die Erkenntnisse aus den Mausstudien auf den Menschen übertragen lassen. © hil/aerzteblatt.de