London – Ein Beruf, der hohe kognitive Anforderungen stellt und ein hohes Maß an Gestaltungsmöglichkeiten bietet, könnte im Alter vor einer Demenz schützen. Dies kam in einer Reihe von Kohortenstudien Studie im Britischen Ärzteblatt (BMJ, 2021; DOI: 10.1136/bmj.n1804) heraus, die die Vorteile mit einer verminderten Bildung von Proteinen in Verbindung bringt, die die Bildung von Nervenzellen und Synapsen im Gehirn hemmen.
Es wird immer wieder beobachtet, dass Menschen, die bis ins hohe Alter geistig aktiv bleiben, seltener oder zumindest später an einer Demenz erkranken. Dass sie dies einem lebenslangen „Gehirnjogging“ zu verdanken haben, das eine größere „kognitive Reserve“ geschaffen hat, von der sie im Alter zehren, ist nicht sicher.
Die Studien, die den Einfluss des Freizeitverhaltens auf spätere Erkrankungen untersucht haben, konnten keine eindeutig protektive Wirkung nachweisen. Die Ergebnisse deuteten eher auf eine reverse Kausalität hin, nach der sich Demenzen im Frühstadium durch ein zunehmendes Desinteresse an geistiger Tätigkeit äußern.
Möglich ist auch, dass kognitive Impulse in der Freizeit nicht ausreichen könnten, um den Abbau im Alter zu verhindern, da die Menschen – zumindest während ihres Erwerbslebens – mehr Zeit am Arbeitsplatz verbringen als in der Freizeit.
Ein internationales Forscherteam hat deshalb die Auswirkungen der beruflichen Tätigkeit auf das Demenzrisiko im Alter untersucht. Viele Menschen sind auf der Arbeit kognitiv wenig gefordert. Sie sind es gewohnt, auf Anweisungen zu reagieren, und haben bei der Erledigung ihrer Jobs nur einen geringen Gestaltungsspielraum.
Auf der anderen Seite gibt es Tätigkeiten, die mit ständig wechselnden Anforderungen verbunden sind und deshalb dem Gehirn möglicherweise die kognitiven Impulse liefern, die das Gehirn auch im Alter fit halten.
Mika Kivimäki vom University College London und Mitarbeiter haben 107.896 Teilnehmer aus 13 bevölkerungsbasierten prospektiven Kohortenstudien (deren Leiter sich zum „IPD Work“-Konsortium zusammengeschlossen haben) nach ihrer geistigen Aktivität oder Passivität am Arbeitsplatz in 3 Gruppen geteilt und mit späteren Demenzerkrankungen in Beziehung gesetzt. Außerdem standen ihnen für eine mögliche Ursachensuche Blutproben aus 2 Studien zur Verfügung.
Kivimäki kann nachweisen, dass Teilnehmer mit hohen intellektuellen Anforderungen am Arbeitsplatz seltener an einer Demenz erkranken. Die Inzidenz war mit 4,8 auf 10.000 Personenjahre um etwa 1/4 niedriger als bei den Arbeitern mit einer niedrigen beruflichen kognitiven Stimulation.
Die Hazard Ratio von 0,77 war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,65 bis 0,92 signifikant, wobei die Ergebnisse in allen 13 Studien ähnlich waren (was in Metaanalysen die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse erhöht). Die Studien waren in Frankreich, Finnland, Großbritannien und den 3 nordischen Ländern durchgeführt wurden. Überall erkrankten Menschen in intellektuell herausfordernden Tätigkeiten seltener an einer Demenz.
Dennoch beweisen die Studien nicht, dass die kognitiven Herausforderungen am Arbeitsplatz einer Demenz im Alter entgegenwirken. Es könnte eine Reihe anderer Gründe geben, die Arbeiter mit einer besseren Ausbildung davor schützen, im Alter an einer Demenz zu erkranken. Bildung ist häufig mit einem gesünderen Lebensstil verbunden. Da die Teilnehmer der Studien in Fragebögen ausführlich zu ihrem Lebensstil und ihrer Gesundheit befragt wurden, kann Kivimäki jedoch eine Reihe dieser alternativen Erklärungen für seine Ergebnisse ausschließen.
Interessant sind auch die Ergebnisse der Blutuntersuchungen. Zunächst ließen die Forscher in einer Stichprobe von 2.261 Teilnehmern aus 1 der 13 Studien eine Proteomanalyse durchführen. Die Konzentration von 6 der 4.953 gemessenen Proteine war bei den Teilnehmern mit hohen kognitiven Impulsen am Arbeitsplatz auffällig niedrig.
Der Zusammenhang konnte in einer 2. Analyse an 13.656 Teilnehmern unter Einbeziehung einer weiteren Kohortenstudie aus den USA bestätigt werden. Bei den 3 Proteinen handelt es sich um das „slit homologue 2“ (SLIT2), die „carbohydrate sulfotransferase 12“ (CHSTC) und die „peptidyl-glycine alpha-amidating monooxygenase“ (AMD).
Alle 3 könnten im Gehirn eine schädliche Funktion haben. Experimentelle Ergebnisse an Stammzellen, Gewebekulturen und Tiermodellen legen laut Kivimäki nahe, dass SLIT2 und AMD die Bildung und Ausrichtung neuer Nervenzellen (Axonogenese) stören.
CHSTC könnte auch Auswirkungen auf die Synaptogenese haben. Wenn die kognitiven Anforderungen am Arbeitsplatz dies verhindern, wäre dies eine plausible Erklärung für die beobachteten Auswirkungen auf das Demenzrisiko.
Trotz der zusätzlichen Proteomanalyse kann die Studie nicht beweisen, dass die berufliche Tätigkeit den geistigen Abbau im Alter verhindert hat. Es bleibt möglich, dass andere Erklärungen übersehen wurden.
So ist es vorstellbar, dass Menschen, die aus genetischen Gründen bessere intellektuelle Fähigkeiteen haben, eher in Berufe streben, die für sie aufgrund der Herausforderungen interessanter sind (und häufig auch besser bezahlt werden). Diese ererbten Vorteile könnten auf bisher nicht bekannte Weise mit einem geringeren Demenzrisiko im Alter verbunden sein. © rme/aerzteblatt.de
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