Warum auch das ruhende Hirn Energie frisst

Wissenschaft

Im Gegensatz zu Muskeln und Co. verbrauchen Nerven auch im Ruhezustand erstaunlich viel Energie.

Nervenzellen im Gehirn

Warum das so ist, beleuchtet nun eine Studie. Der permanent hohe Treibstoffbedarf hat demnach mit einem Leck zu tun: Unter erheblichem Energieaufwand muss ein ständiger Verlust von Protonen aus den Signalmolekül-Speichern in den Synapsen kompensiert werden. Solche Einblicke in die Grundlagen des neuronalen Energiebedarfs haben auch medizinische Bedeutung, betonen die Wissenschaftler.

Das Organ, auf dem der Erfolg des Menschen basiert, ist ein enormer Energiefresser: Es macht nur etwa zwei Prozent unserer Körpermasse aus, ist aber für rund 20 Prozent des gesamten Energieverbrauchs verantwortlich. Es besitzt also einen rund zehnmal höheren Treibstoffbedarf in Form von Glukose als andere Gewebearten. Ein Grossteil des Verbrauchs ist dabei auf die elektrische Aktivität zurückzuführen. Doch auch der Grundumsatz ist erstaunlich hoch: Aus Untersuchungen von Patienten im Koma geht hervor, dass der Energieverbrauch selbst in elektrisch zutiefst inaktiven Zuständen in der Regel nur auf etwa die Hälfte sinkt. Die Ursachen für diesen Energieverbrauch im Ruhezustand sind noch immer weitgehend unklar.

Bereits seit einigen Jahren beschäftigen sich die Wissenschaftler um Timothy Ryan vom Weill Cornell Medical College in New York mit den Grundlagen des Energieverbrauchs von Nervengeweben. In ihrem Fokus stehen dabei die Synapsen – die Enden der Neuronen-Fortsätze, durch die sie mit anderen Nervenzellen verknüpft sind. Die Forscher konnten bereits zeigen, dass die Synapsen im aktiven Zustand grosse Mengen an Energie verbrauchen und sehr empfindlich auf eine Unterbrechung ihrer Versorgung reagieren. Der Grund erscheint dabei plausibel: In den Synapsen muss bei Aktivität ständig Packarbeit geleistet werden – Vesikel werden unter Energieaufwand mit Neurotransmittern beladen. Bei Nervenleistungen öffnen sich diese Bläschen dann und entlassen die Signalmoleküle in den synaptischen Spalt. Dies sorgt für eine Reaktion in der verbundenen Partner-Neurone. Bei andauernder nervlicher Aktivität müssen dann fortlaufend neue Vesikel in den Synapsen befüllt werden.

Ruhende Neuronen im Visier

In ihrer neuen Studie untersuchten die Wissenschaftler nun hingegen den Energieverbrauch in Synapsen, wenn diese nicht aktiv an der Nervenkommunikation teilnehmen. Sie untersuchten dazu durch eine Reihe molekularbiologischer und biochemischer Techniken die energetischen Prozesse in Zellkulturen von Neuronen. Die Nervenenden befanden sich dabei in einem Zustand der Ruhe beziehungsweise Bereitschaft. Das bedeutet, dass die Vesikel in den Synapsen mit Neurotransmittern voll beladen waren – also keine energieaufwendige Packarbeit mehr nötig war.

Aus den Untersuchungsergebnissen ging nun hervor: Trotz des Ruhezustands und der vermeintlichen Inaktivität zeichnete sich bei den vollbeladenen Vesikeln in den Synapsen ein erheblicher Energieverbrauch ab. Weitere Untersuchungsergebnisse warfen dann Licht auf das paradox erscheinende Phänomen: Die Forscher entdeckten, dass aus den Vesikeln ständig Energie entweicht: Ein „Protonen-Efflux“ durch ihre Membranen zeichnete sich ab. Sie fanden dabei Hinweise darauf, dass dieser Energieverlust durch ein spezielles „Protonenpumpen“-Enzym kompensiert wird: Unter erheblichem Energieverbrauch bringt es die für das System wichtigen Ladungsträger zurück in die Vesikel. Mit anderen Worten: Voll beladene Vesikel sind undicht und der ständige Verlust muss durch ein energiefressendes Pumpensystem ausgeglichen werden.

Teure Kompensation

Doch wie kommt es zu dem problematischen Verlust? Auch darauf lieferten die Experimente des Teams bereits erste Hinweise: Offenbar sind bestimmte Transporter-Proteine für die Protonenlecks verantwortlich. Wie die Wissenschaftler erklären, schleusen diese Einheiten die Neurotransmitter beim Beladen in die Vesikel ein. Dazu müssen sie ihre Form verändern, wobei sie ein Proton abgeben. Die Forscher vermuten nun, dass die Formveränderungsprozesse dieser Transporter auch nach dem Beladen der Vesikel weiter ablaufen, was mit einer Protonenabgabe verbunden ist.

Es ist ihnen zufolge möglich, dass die Schwelle für die Formveränderung der Transporter niedrig angesetzt ist, um ein schnelleres Nachladen von Neurotransmittern während der synaptischen Aktivität und damit ein schnelleres Denken und Handeln zu ermöglichen. „Der Nachteil einer schnelleren Ladefähigkeit wäre allerdings dann, dass selbst zufällige Wärmeschwankungen die Formveränderung des Transporters auslösen könnten, was zu einem ständigen Energieverlust führen würde, selbst wenn kein Neurotransmitter geladen wird“, erklärt Ryan. Obwohl der Effekt bei einem einzelnen Vesikel gering erscheint, hat er unterm Strich eine grosse Bedeutung – das gilt vor allem im vergleichsweise riesigen Gehirn des Menschen: „Bei den Milliarden von synaptischen Vesikeln summiert es sich“, so Ryan.

Bei den Ergebnissen handelt es sich somit um einen Fortschritt beim Verständnis der grundlegenden Biologie des Gehirns: „Sie helfen uns etwa dabei, besser zu verstehen, warum das menschliche Gehirn so empfindlich auf die Unterbrechung oder Schwächung seiner Treibstoffversorgung reagiert“, sagt Ryan. Dies hat wiederum eine medizinische Relevanz: Unterversorgungen sind ein grosses Problem in der Neurologie, und Stoffwechseldefizite wurden bei einer Reihe von häufigen Hirnerkrankungen wie Alzheimer und Parkinson festgestellt. Neurologische Grundlagenforschung wie im aktuellen Fall könnte somit letztlich dazu beitragen, wichtige medizinische Rätsel zu lösen und neue Behandlungsmethoden zu entwickeln.