Ein Spaziergang fürs Gehirn

Wissenschaft

Wenn wir Zeit im Freien verbringen, dann trägt dies nicht nur zu unserer Erholung bei und hebt die Stimmung – der positive Effekt ist sogar am Gehirn ablesbar, wie nun eine kleine Pilotstudie nahelegt. In dieser ergaben Hirnscans mittels Magnetresonanztomographie, dass die graue Substanz in einem Bereich des Stirnhirns von Aufenthalten im Freien profitiert. Ob dabei ein Spaziergang im Grünen besser wirkt als ein Gang durch die Stadt, wollen die Wissenschaftler als Nächstes untersuchen.

Egal ob Stadtpark, Garten oder Wald: Wenn wir uns in der Natur aufhalten, tut dies Körper und Seele gut, das haben in den letzten Jahren schon einige Studien belegt. Der Aufenthalt im Grünen entspannt uns, lässt unser Herz langsamer schlagen und hebt die Stimmung. Menschen, die in grüneren Stadtvierteln leben, leiden seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und anderen Zivilisationskrankheiten, bei Kindern nimmt die Konzentrationsfähigkeit zu. Aber auch Ausflüge ins Grüne wirkt schon positiv: 2019 ergab eine Studie, dass schon 120 Minuten in der Natur pro Woche ausreichen, um die Gesundheit zu fördern.

Signifikanter Effekt auf das Stirnhirn

Ein Spaziergang tut nicht nur unserem Gehirn gut, sondern auch unserem Körper und Geist.

Welchen Effekt der Aufenthalt im Freien auf das Gehirn hat, haben nun Simone Kühn vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und ihre Kollegen untersucht. Dafür untersuchten sie das Gehirn von sechs gesunden, in Berlin lebenden Erwachsenen über ein halbes Jahr hinweg regelmäßig mittels Magnetresonanztomographie (MRT) – insgesamt erstellten sie 280 solcher Hirnscans. Zusätzlich erfassten sie, wie viel Zeit die Teilnehmenden in den 24 Stunden vor den Untersuchungen im Freien verbracht hatten, und fragten andere, möglicherweise das Gehirn beeinflussende Faktoren ab. Darunter war, wie viel Flüssigkeit und wie viele koffeinhaltige Getränke die Testpersonen zu sich genommen hatten, wie viel Freizeit sie gehabt und wie viel Sport sie getrieben hatten.

Die Untersuchungen ergaben: Ein Aufenthalt im Freien hob nicht nur die Stimmung der Testpersonen, sondern zeigte auch unmittelbare Effekte im Gehirn. Je mehr Zeit die Teilnehmenden vor der Untersuchung draußen verbracht hatten, desto größer war das Volumen der Grauen Hirnsubstanz im rechten dorsolateral-präfrontalen Cortex. Dabei handelte es sich um einen seitlich hinter der Stirn liegenden Bereich der Großhirnrinde, der an der Planung und Regulation von Handlungen und an der sogenannten kognitiven Kontrolle beteiligt ist. Viele psychiatrische Störungen sind mit einer Verringerung der Grauen Substanz im präfrontalen Bereich des Gehirns verknüpft.

Wirkung unabhängig von anderen Einflussfaktoren

Selbst für das Forschungsteam überraschend war dabei, dass dieser positive Effekt des Draußenseins auch dann bestehen blieb, wenn man alle anderen Einflussfaktoren wie Sonnenscheindauer, Freizeit, körperlichen Aktivitäten und Flüssigkeitsaufnahme herausrechnete. „Es war eine echte Überraschung für uns, dass keiner dieser Covariate die Unterschiede im rechten dorsolateral-präfrontalen Cortex erklären konnte“, so Kühn und ihre Kollegen. Die Studie belegt damit, dass die Zeit im Freien unabhängig von anderen Einflussfaktoren einen positiven Effekt auf das Gehirn hat. Das gilt offenbar sogar unabhängig davon, ob wir in der Stadt oder im Grünen sind, und auch bereits für recht kurze Phasen im Freien.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich unsere Gehirnstruktur und unsere Stimmung verbessern, wenn wir Zeit im Freien verbringen“, sagt Kühn. „Es ist anzunehmen, dass sich dies auch auf die Konzentration, das Arbeitsgedächtnis und die Psyche insgesamt auswirkt.“ Dies stimme gut mit den Resultaten von Metaanalysen überein, die ebenfalls positive Effekte eines Aufenthalts in der Natur auf die Psyche belegen. Wer regelmäßig an der frischen Luft ist, tut demnach nicht nur seinem Wohlbefinden, sondern auch seinem Gehirn etwas Gutes. Ob der Aufenthalt im Grünen diese positiven Effekte womöglich noch verstärkt, möchte das Forschungsteam in einer weiterführenden Studie ermitteln. Dafür statten sie ihre Testpersonen mit GPS-Loggern und Sensoren aus, durch die sie auch Faktoren wie Lichtexposition, Schadstoffe und Lärm erfassen können.