Eine Reise in das innere des Ohres

Beim Hören denken wir als erstes an die Ohrmuschel. Doch dafür, dass wir den Schall als Zwitschern, Rauschen oder Murmeln interpretieren, sind andere Dinge wesentlich: Die Anatomie der Hörschnecke und die Rechenleistung der Hörbahn im Gehirn.

Am Anfang ist es nur ein Gewackel: Schallwellen versetzen das Trommelfell in Schwingungen. Doch wie wird daraus die faszinierende Welt der Klänge, das Vogelgezwitscher am Morgen, das zarte Streichen einer Violine? Viel Rechenarbeit an zahlreichen Stellen der Hörbahn ist dafür nötig.

Zunächst wird der Schall mechanisch aufbereitet. Das Trommelfell schwingt, und diese Bewegungen übertragen die Hörknöchelchen des Mittelohrs – Hammer, Amboss und Steigbügel – auf eine Membran, das ovale Fenster. Dahinter beginnt das Innenohr mit der Hörschnecke, der Cochlea. Dort nimmt die Basilarmembran die Schwingung auf, eine Gewebestruktur, die sich durch die gesamte Länge der Hörschnecke zieht. Die schneckenförmige und sich verjüngende Anatomie der Cochlea bewirkt, dass jeder Abschnitt der Basilarmembran nur von einem bestimmten Frequenzbereich des Schalls in Schwingungen gesetzt wird. Hohe Töné bringen die Membran am Beginn der Cochlea in Bewegung, tiefen Tönen gelingt das erst ein paar Cochlea-​Windungen später.

Analog-​Digital-​Umwandlung: Aus mechanischen Infos werden elektrische

Der Basilarmembran liegt das sogenannte Corti-​Organ auf, das die analogen Signale des Schalls in digitale Nervenimpulse umwandelt. Erst dadurch werden die auditiven Informationen für die Datenverarbeitung im Gehirn zugänglich. Wesentlich für die Umwandlung, die Transduktion vom physikalischem Reiz in elektrische Impulse ist ein bestimmter Typus von Sinneszellen im Corti-​Organ: Die Hörzellen. Sie verfügen an ihrer Spitze über jeweils ungefähr hundert haarähnliche Fortsätze – die Stereocilien – und werden deshalb auch Haarzellen genannt. Schwingt ein Bereich der Basilarmembran, werden die Härchen der Hörzellen an dieser Stelle abgebogen. Das ist die entscheidende Bewegung, denn dadurch öffnen sich in der Membran der Zelle spezielle Ionen-​Kanäle, die Transduktionskanäle. Deren biochemische Struktur kennen die Forscher noch nicht. Der Neurobiologe David Corey von der Harvard Medical School brachte aber vor einigen Jahren ein Molekül mit dem Namen TRPA1 als möglichen Transduktionskanal ins Gespräch. „Doch TRPA1 ist nur ein Kandidat, die experimentellen Befunde sind nicht eindeutig“, sagt der Neurobiologe Rudolf Rübsamen von der Uni Leipzig. „TRPA1 könnte am Transduktionsprozess beteiligt sein, aber es scheint noch andere Mitspieler zu geben, die noch nicht identifiziert sind.“

Erregung in der Haarzelle

Welche Kanäle es auch sein mögen, sobald sie sich öffnen, strömen positiv geladene Kaliumionen ins Innere der Haarzelle und sorgt dort für eine Ladungsänderung. Jede Haarzelle ist per Synapse mit einer Spiralganglienzellen verbunden, deren Fortsätze den Hörnerv, den Nervus cochlearis bilden. Nur wenn also diese ganz spezielle Haarzelle entsprechend ihrer Frequenz gereizt wird, wird die dazugehörige Nervenzelle im Spiralganglion erregt – und feuert erst dann ihr Aktionspotenzial.

Parallele Wege der Hörbahn ins Gehirn

Dieses Signal wird zu verschiedenen Bereichen im Hirnstamm geleitet: Die Fasern des Hörnervs führen über den Nervus vestibulocochlearis zu den zwei Hörkernen, den Nucleus cochlearis ventralis und den Nucleus cochlearis dorsalis. Diese Kerne bilden eine Art Verteilerstation, von der zahlreiche parallele Signalwege ausgehen.

Um es nicht zu kompliziert zu machen, folgen wir größtenteils nur einer, dafür sehr wichtigen Bahn auf ihrem Weg zur Hörrinde im Gehirn: die Zellen im Nucleus cochlearis ventralis geben Input in den so genannten oberen Olivenkern (Nucleus olivaris superior) auf beiden Seiten des Hirnstamms – tatsächlich handelt es sich um einen Komplex von mehreren Kernen. Das Nervennetzwerk dort reagiert sensibel auf Zeitunterschiede: Kommt ein Geräusch am linken Ohr Bruchteile von Sekunden früher an als am rechten Ohr, ist die Schallquelle sehr wahrscheinlich links vom Kopf. Die obere Olive ist also an der Schallortung beteiligt. Von dort gehen auch Fasern wieder zurück zum Innenohr. Über dieses Feedback kann die Empfindlichkeit des Hörens beeinflusst werden.

Folgen wir nun weiter der Hörbahn in Richtung Hörrinde: Vom Olivenkomplex gehen Impulse über eine seitliche Schleifenbahn – lateinisch Lemniscus lateralis – zu einer bestimmten Stelle des Mittelhirns. Die dort gelegenen „unteren Hügelchen“, die Colliculi inferiores, sind wichtig für Aufmerksamkeitsprozesse. Außerdem tragen sie dazu bei, die Bewegung des Kopfes in Richtung eines bestimmten Reizes zu steuern.

Die „unteren Hügelchen“ senden die auditiven Informationen an den Thalamus, der als „Tor zum Cortex“ gilt. Für auditive Signale zuständig dort ist der mediale Kniehöcker, das Corpus geniculatum mediale (CGM). Da der Thalamus beidseitig Input bekommt, erhält jede Hirnhälfte die Informationen aus beiden Ohren. Die Fortsätze der Neurone im CGM bilden die Hörstrahlung – sie überträgt die Information an die primäre Hörrinde, den primären auditorischen Cortex im Schläfenlappen. Hier endet die Hörbahn. Dieses auch als Hörzentrum bezeichnete Gebiet verarbeitet die akustischen Signale. Letzten Endes haben wir es vor allem ihm zu verdanken, dass wir die Stimme eines geliebten Menschen oder das Rascheln der Blätter bewusst wahrnehmen können.

Zwei Bahnen: Was und Wo

Im auditorischen System selbst verlaufen zwei Bahnen: Die dorsale Bahn zu Gebieten im Scheitellappenverarbeitet vermutlich räumliche akustische Informationen. Die manchmal als „Wo-​Bahn“ bezeichnete Bahn kommt wahrscheinlich zum Einsatz, wenn etwa morgens der verhasste Klang des Weckers ertönt, zu dem wir auch dann gezielt greifen, wenn es noch dunkel im Zimmer sein sollte. Die so genannte „Was-​Bahn“, die ventrale Bahn vom auditorischen Cortex zum Sulcus temporalis superior, ist vermutlich wesentlich, um in der Menge der akustischen Reize beispielsweise menschliche Sprache zu identifizieren.

Forscher wie der Neurowissenschaftler Josef Rauschecker von der Georgetown University in Washington fanden in den letzten Jahren Bestätigung für diese Unterscheidung. Allerdings ist sie nicht ganz unumstritten: „Die Hypothese dieser getrennten Verarbeitungswege ist im Kern nichts anderes als die Übernahme entsprechender Hypothesen aus dem corticalen Sehsystem“, sagt Rudolf Rübsamen. „Inwieweit diese Übertragung auf das Hörsystem einen heuristischen Wert hat, ist unter den Fachkollegen umstritten.“

Wie die Verarbeitungswege auch immer im Detail aussehen mögen: Es ist eine lange Reise, die die auditiven Informationen vom Ohr zum Gehirn antreten. Doch für uns lohnt sie sich immer wieder.

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Redaktion: Dr. Christian Wolf
Quelle: https://www.dasgehirn.info/wahrnehmen/hoeren/vom-wackeln-zur-wunderbaren-vielfalt-der-klaenge

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zum Weiterlesen:

  • Rauschecker, J.: An expanded role for the dorsal auditory pathway in sensorimotor control and Integration. Hearing Research. 2011; 271:16 – 25 (zum Abstract).
  • Leaver, A., Rauschecker, J.P.: Cortical representation of natural complex sounds: effects of acoustic features and auditory object category. Journal of Neuroscience. 2010; 30(22):7604 – 7612 (zum Abstract).