Wie versteht das Gehirn? Neue Erkenntnisse festigen Hypothesen:
Bochum/Dresden – Einen Grund für die Sprachdominanz der linken Hemisphäre berichten Forscher der Ruhr-Universität Bochum und der Technischen Universität Dresden: Nervenzellen in der Hirnregion Planum temporale besitzen danach in der linken Hemisphäre mehr Verbindungen als in der rechten Hemisphäre. Dies sei entscheidend für eine schnellere Sprachverarbeitung. Die Arbeit ist in der Zeitschrift Science Advances erschienen (2018; doi: 10.1126/sciadv.aar6830).
Die Wissenschaftler erläutern einen Versuchsaufbau, der die Sprachdominanz der linken Hemisphäre belege: Spielt man Personen über Kopfhörer zwei unterschiedliche Silben – zum Beispiel „Da“ und „Ba“ – auf linkem und rechtem Ohr vor, geben die meisten Menschen an, nur die Silbe auf dem rechten Ohr gehört zu haben. Der Hintergrund: Sprache, die über das rechte Ohr wahrgenommen wird, wird in der linken Hirnhälfte verarbeitet. Misst man die Hirnströme mittels EEG, zeigt sich, dass die linke Hirnhälfte Sprachinformationen schneller verarbeitet.
„Wissenschaftler haben vor langer Zeit entdeckt, dass eine für Sprache wichtige Hirnregion namens Planum temporale häufig links größer ist als rechts“, erläuterte Sebastian Ocklenburg von der Bochumer Arbeitseinheit Biopsychologie. In den Gehirnen von verstorbenen Menschen, die ihre Körper für die Wissenschaft gespendet hatten, entdeckten Forscher später, dass die Nervenzellen des linken Planum temporale eine höhere Anzahl an neuronalen Verbindungen besitzen als diejenigen auf der rechten Seite.
Laut Erhan Genç, ebenfalls aus der Arbeitseinheit Biopsychologie, war es aber bislang unklar, ob diese asymmetrische Mikrostruktur für die linksseitige Überlegenheit bei der Sprachverarbeitung entscheidend ist. Es fehlten die Methoden, um die Anzahl von Nervenzellverbindungen bei lebenden Menschen zu erfassen. Diese Lücke schlossen die Forscher nun mithilfe eines „Neurite Orientation Dispersion and Density Imaging“. Mit dieser speziellen Form der Magnetresonanztomografie maßen die Biopsychologen die Dichte und räumliche Anordnung von Nervenzellfortsätzen im Planum temporale von fast hundert Versuchspersonen. Gleichzeitig erfassten sie bei denselben Probanden mit EEG-Messungen die Verarbeitungsgeschwindigkeit für sprachliche Informationen in der linken und rechten Hirnhälfte.
Es zeigte sich, dass Versuchspersonen mit besonders schneller linkhemisphärischer Sprachverarbeitung auch besonders viele und dicht gepackte Nervenzellfortsätze im linken Planum temporale besaßen. „Die höhere Verschaltungsdichte scheint somit ein entscheidender Baustein für die sprachliche Überlegenheit unserer linken Hirnhälfte zu sein“, so Genç. © hil/aerzteblatt.de