Report Tinnitus – deutsche Ärztezeitung.
Manche Gehörgeschädigte leiden gleichzeitig unter Tinnitus, während andere von den lästigen Ohrgeräuschen verschont bleiben. Britische Forscher vermuten, dass der Unterschied in der Funktion der inneren Haarzellen liegt.
Warum Tinnitus nur einige, aber bei weitem nicht alle Schwerhörigen plagt, war bislang unbekannt. Vermutet wurde eine Schädigung von Strukturen des Innenohrs. Ein Team aus Psychologen und HNO-Ärzten von der Universität im britischen Essex ist der Ursache dieses Phänomens jetzt näher gekommen (J Assoc Res Otolaryngol 2013; online 18. Januar).
Die Wissenschaftler konnten mithilfe von audiometrischen Untersuchungen nachweisen, dass bei Gehörgeschädigten mit Tinnitus – im Gegensatz zu Schwerhörigen ohne Tinnitus – die Funktion der äußeren Haarzellen (OHC) in der Hörschnecke (Cochlea) nur wenig beeinträchtigt ist. Als Auslöser für den Tinnitus kommen diese Strukturen also kaum infrage. Den Forschern um Christine M. Tan zufolge scheint die Initialzündung vielmehr von einer Dysfunktion der inneren Haarzellen (IHC) auszugehen. An der Schnittstelle von akustischen Schwingungen und Nervensignalen nehmen die auf der Basilarmembran sitzenden äußeren und inneren Haarzellen eine Schlüsselfunktion ein. Die äußeren Haarzellen können sich, abhängig vom eingehenden Frequenzspektrum, zusammenziehen oder ausdehnen. Sie dienen der Verstärkung der Schallwanderwellen. Die inneren Haarzellen wandeln die mechanischen Schwingungen in Nervenimpulse um, die dann an das Gehirn weitergeleitet werden.
Die Forscher hatten 27 gehörgeschädigte Patienten mit Tinnitus und 15 ohne Tinnitus verglichen. Diese waren im Schnitt 59 beziehungsweise 65 Jahre alt. Die absoluten Hörschwellen waren in beiden Gruppen ähnlich. Wie sich herausstellte, gab es jedoch klare Unterschiede bei den Hörverlusten in den oberen Frequenzbereichen: Die Tinnitus-Gruppe konnte Töne jenseits von 2000 Hertz nicht mehr wahrnehmen. Dafür zeigten diese Patienten jedoch eine deutlich bessere Frequenzselektivität und auch eine bessere Verstärkung. Bei einer OHC-Dysfunktion hätten sich beide Parameter verschlechtern müssen.
Die kompressive Verstärkung wurde über die temporale Maskierung (TMC = Temporal Masking Curve) gemessen. Zur Messung der Frequenzselektivität wendeten die Forscher die Iso-Forward Masking Contours (IFMC) an. Das Vorhandensein beziehungsweise Nicht-Vorhandensein von Tinnitus ließe sich somit als Marker für die Form einer Hörschädigung einsetzen, schreiben die Forscher.
Die Erkenntnisse könne man für die Therapieentscheidung nutzen: Während Hörgeschädigte mit einer Dysfunktion der äußeren Haarzellen spezielle Hörhilfen benötigen, um sich auf wechselnde akustische Umgebungssituationen einstellen zu können, profitieren schwerhörige Tinnituspatienten mit ihrer weitgehend intakten OHC-Funktion möglicherweise von einer einfachen Verstärkung. (EO)