Wie bildet unser Gehirn aus verschiedenen Informationen einen Gesamteindruck? Im Fall des Hörens konnten Forscher nun zeigen, dass die leicht unterschiedlichen Höreindrücke der beiden Ohren mithilfe von Gamma-Wellen synchronisiert werden. So können wir Gesagtes als einheitliche Sprachlaute wahrnehmen. Dieser Nachweis gelang durch eine gezielte Beeinflussung des Hörsystems mittels elektrischer Stimulation. Die Ergebnisse haben damit auch eine Bedeutung für die Entwicklung von Therapien gegen die Wahrnehmung der Phantom-Geräusche bei Tinnitus, sagen die Wissenschaftler.
Unsere Ohren sitzen auf gegenüberliegenden Seiten des Kopfes und die meisten Töne erreichen die Ohrmuscheln dadurch mit einer leichten zeitlichen Verzögerung. Sie geben unserem Gehirn somit einen leicht unterschiedlichen Input und das hat auch einen wichtigen Grund: „Dies hilft uns zu bestimmen, aus welcher Richtung Geräusche kommen. Allerdings bedeutet das auch, dass unser Gehirn die Informationen beider Ohren vereinigen muss.
Ansonsten würden wir ein Echo hören“, sagt Basil Preisig der Universität Zürich. Wie er erklärt, besteht auch weiterer Synchronisations-Bedarf, denn die Informationen vom rechten Ohr erreichen zuerst die linke Hirnhälfte und die vom linken Ohr zuerst die rechte. Die beiden unterschiedlichen Hirnhälften übernehmen zudem bei der Sprachverarbeitung unterschiedliche Aufgaben, haben Studien bereits gezeigt: Die linke Seite ist für die Analyse der Silben zuständig, die rechte erfasst hingegen die Sprachmelodie.
Dem Integrationsprozess auf der Spur
Um den Eindruck eines einheitlichen Sprachlauts zu erzeugen, muss das Gehirn demnach die zeitlich verschobenen Informationen sowie die Analyseergebnisse aus den beiden Hirnhälften zusammenführen. Frühere Untersuchungen haben bereits Hinweise darauf geliefert, dass dabei spezielle Schwingungsmuster der Nervenaktivität im Gehirn eine Rolle spielen: die sogenannten Gamma-Wellen. Es handelt sich dabei um Signale im Frequenzbereich über 30 Hertz, die im Zusammenhang mit bestimmten Hirnaktivitäten festgestellt wurden. Preisig und seine Kollegen wollten nun erstmals direkt nachweisen, inwieweit es einen Zusammenhang zwischen der Integration von Gehörtem und der Synchronisierung durch Gamma-Wellen gibt.
Dazu führten sie Experimente mit 28 Freiwilligen durch, die wiederholt eine Höraufgabe lösen sollten. Sie hörten dabei auf dem rechten Ohr eine zweideutige Silbe – einen Sprachlaut zwischen „ga“ und „da“. Auf dem linken Ohr erklang zeitgleich ein subtiles Klicken, das entweder ein Fragment der Silben da oder ga enthielt. Bei jeder Wiederholung mussten die Versuchspersonen angeben, was sie gehört hatten. So zeigte sich: Je nachdem welches Klicken ertönte, nahmen die Versuchspersonen entweder die eine oder andere Silbe wahr. Während dieses Vorgangs erfassten die Wissenschaftler auch die Aktivität in den beiden Hirnhälften mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRI). Den entscheidenden Aspekt der Versuche bildeten dann elektrische Stimulationen, die den Probanden mittels Elektroden am Kopf vermittelt wurden: Durch sie störten die Wissenschaftler gezielt das natürliche Aktivitätsmuster der Gamma-Wellen, die bei den Aufgaben in den beiden Hirnhälften entstanden.
Nachweisverfahren mit Anwendungspotenzial
Wie sie berichten beeinflusste die Manipulation die Fähigkeit der Versuchsteilnehmer, die gehörte Silbe richtig zu identifizieren. Die fMRI-Analyse verdeutlichte in diesem Zusammenhang, dass dies zu Veränderungen in der Aktivität der Nervenverbindungen zwischen den beiden Hirnhälften führte: Je nachdem, ob die Forscher den Rhythmus der Gamma-Wellen mithilfe der elektrischen Stimulation in den beiden Hirnhälften synchron oder asynchron zueinander gestalteten, veränderte sich die Stärke der Verbindung. Entsprechende Störungen waren dann mit einer Verschlechterung der Integrationsfähigkeit verbunden, zeigten die Tests.
Die Forscher sehen in diesen Ergebnissen nun einen Nachweis dafür, dass die verschiedenen Inputs der beiden Hirnhälften durch die Synchronisation der Gamma-Wellen miteinander abglichen werden, was zu einem eindeutigen akustischen Eindruck führt. „Unsere Resultate unterstützen somit auch den Erklärungsansatz, dass die durch Gamma-Wellen vermittelte Synchronisation zwischen verschiedenen Hirnarealen ein grundlegender Mechanismus für die neuronale Integration ist“, sagt Preisig.
Sein Kollege Alexis Hervais-Adelman vom Institut für Psychologie der Universität Zürich ergänzt dazu: „Außerdem zeigen die Ergebnisse konkret am Beispiel des menschlichen Hörens, dass die Verbindung der beiden Hirnhälften erfolgreich durch elektrische Stimulation moduliert werden kann.“ Wie er erklärt, könnte dieser Möglichkeit eine wichtige klinische Bedeutung zukommen: „Frühere Studien zeigen, dass Störungen der Verbindung zwischen den beiden Hirnhälften mit auditiven Phantom-Wahrnehmungen wie Tinnitus und Stimmenhören einhergehen“, so Preisig. „Somit könnte die elektrische Hirnstimulation einen vielversprechenden Weg für die Entwicklung von therapeutischen Interventionen darstellen“, hofft der Wissenschaftler.