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Zu den Variablen zählt demnach zudem die abnehmende Plastizität des Gehirns, die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzer Gehirnareale, sich zu verändern und an neue Anforderungen und Einflüsse anzupassen. Ein Faktor sei dabei wohl das Zusammenspiel von Angebot und Bedarf, schreibt der Berliner Forscher, also die Frage, ob das Gehirn überhaupt noch neue Aufgaben meistern müsse. Bei einem körperlich und geistig wenig aktiven Menschen etwa lasse sich die Plastizität zumindest partiell und zeitweise steigern, wenn er vor neue Herausforderungen gestellt werde. Das kann das Lernen einer neuen Sprache sein – oder auch schon der Umgang mit quirligen Enkelkindern.
Die Alterung des Gehirns sei so komplex und eigenwillig wie das Gehirn selbst, schreibt Angela Gutchess von der Brandeis University in Waltham (US-Staat Massachusetts). Lange Zeit habe sich die Forschung auf den Verfall konzentriert, erläutert sie in einem weiteren «Science»-Übersichtsartikel: schlechteres Hören und Sehen, zunehmende Vergesslichkeit, langsamere Informationsverarbeitung und verstärkte Schwierigkeiten dabei, relevante und irrelevante Informationen zu filtern.
Hirnstimulation verbessert das Gedächtnis
Inzwischen sei deutlich geworden, dass auch ein alterndes Gehirn ein gewisses Mass an Plastizität behalte. Dies schliesse die Neurogenese, die Bildung neuer Nervenzellen, ein. Ein vielversprechender Ansatz zur Verbesserung etwa des Gedächtnisses sei die Hirnstimulation mit gezielten Stromimpulsen. Noch sei die Zahl solcher Studien mit älteren Teilnehmern allerdings gering. Insgesamt bleibe es eine grosse Herausforderung, in einem so dynamischen und verwobenen System wie dem Gehirn die Bedingungen und Mechanismen ausfindig zu machen, die für eine maximale Leistungsfähigkeit im Alter entscheidend sind.
Zu den vom Alter wenig beeinflussten Fähigkeiten zählten viele Sprachprozesse, erklären Meredith Shafto und Lorraine Tyler von der britischen University of Cambridge in «Science». Der Wortschatz verbessere sich den überwiegenden Teil eines Lebens lang, erst in sehr hohem Alter schwinde er. Anders sehe es bei der Sprachproduktion aus: Sie verlangsame und verschlechtere sich bei Senioren im Vergleich zu jungen Menschen. Ein weiteres typisches Zeichen des normalen Alterungsprozesses sei, dass Begriffe immer öfter «auf der Zunge» liegen, aber nicht fassbar sind.
Intellekt bleibt ein Leben lang erhalten
Generell bleibt die intellektuelle Stärke oder Schwäche eines Menschen meist ein Leben lang erhalten – das zeigten unter anderem weltweit einmalige Daten aus Schottland: In der Bevölkerung schwinde die Intelligenz, befürchtete die schottische Regierung Anfang des 20. Jahrhunderts. Zur Klärung wurden grossflächige Intelligenz-Tests initiiert. 1932 wurden erstmals Elfjährige getestet, 1947 erneut mehr als 70.000 Kinder dieses Alters – insgesamt etwa 160.000.
Jahrzehnte später, 1997, entdeckten Forscher um Ian Deary die Stapel mit den Testergebnissen im Keller der Universität Edinburgh zufällig wieder, schreibt «Science»-Autorin Emily Underwood in einem weiteren Beitrag der Serie. Sofort sei klar gewesen: Die verstaubten Boxen versprachen eine Goldgrube für die Hirnforschung. Das Team des Psychologen spürte über Briefe und Anzeigen Tausende Teilnehmer wieder auf – und bat sie um eine Wiederholung des Tests.
Auf den Spuren des alternden Gehirns
Der Vergleich der Ergebnisse biete nun eine einmalige Gelegenheit, dem Altern des Gehirns nachzuspüren, schreibt Underwood. Die Gehirne der Senioren seien gescannt, ihre Gene analysiert und ihre Lebensgewohnheiten erfasst worden. Mit einem Faktor lassen sich die kognitiven Fähigkeiten im Alter demnach besser als mit jedem anderen Einzelmerkmal voraussagen: dem Ergebnis des IQ-Tests im Alter von elf Jahren.
Zwar gab es auch zahlreiche Ausnahmen, also Menschen, deren IQ-Ergebnisse im Alter deutlich besser oder schlechter ausfielen. Insgesamt aber stützten die Daten aus Schottland eine salopp «Wassertank-Hypothese» genannte Theorie, wird Nicholas Martin vom QIMR Berghofer Medical Research Institute in Herston (Australien) zitiert. Je besser ein Gehirn dank genetischer Einflüsse und günstiger Umweltfaktoren in der Kindheit funktioniere, desto mehr kognitive Reserven habe derjenige im Alter zu verlieren. «Mit je mehr im Tank du startest, desto länger dauert es, bis er leer ist.»