Kleinhirn: Emotionaler Funktion auf der Spur

Artikel von Wissenschaft.de

Von wegen nur Bewegungssteuerung: Eine Studie verdeutlicht die komplexen Funktionen des lange unterschätzen Kleinhirns. Es spielt demnach eine wichtige Rolle bei der bekanntlich besonders intensiven Einprägung von emotionalen Eindrücken ins Gedächtnis: Bei der Abspeicherung entsprechender Informationen kommuniziert es intensiv mit verschiedenen Bereichen des Großhirns, zeigen Hirnscans. Die Ergebnisse erweitern das Wissen über die Funktionen des Kleinhirns und könnten für das Verständnis psychiatrischer Probleme wie der posttraumatischen Belastungsstörung von Bedeutung sein, sagen die Forscher.

Lange stand es im Schatten des Großhirns: Dem Kleinhirn (Cerebellum) wurden kaum komplexere Funktionen zugesprochen – es galt als die eher simple Zentrale der Bewegungssteuerung. Doch dies hat die Hirnforschung mittlerweile bereits klar widerlegt: Das stark gefurchte und sehr nervenzellreiche Gebilde im Bereich der hinteren Schädelbasis ist neben seiner Bedeutung für die Motorik auch in höhere Hirnfunktionen involviert, zeigen Studien. Unter anderem wurde dabei auch bereits eine Aktivierung des Kleinhirns bei Angstreaktionen aufgezeigt.

Im Rahmen ihrer Studie sind Wissenschaftler um Matthias Fastenrath von der Universität Basel deshalb nun der Frage nachgegangen, inwieweit das Kleinhirn auch in einen Effekt involviert sein könnte, den wohl jeder aus persönlicher Erfahrung kennt: Sowohl positive als auch negative emotionale Erfahrungen und Eindrücke prägen sich besonders stark ins Gedächtnis ein. Dies hat damit zu tun, dass sie oft eine wichtige Bedeutung für unser Leben besitzen können. Das intensive Erinnern kann etwa dabei helfen, zukünftige Gefahrensituationen zu vermeiden. Im Übermaß kann der Effekt allerdings auch zu schweren psychischen Belastungen führen.

Emotion und Gedächtnis im Visier

Was bei der Abspeicherung von emotional verknüpften Eindrücken im Gehirn passiert, haben de Quervain und seine Kollegen in einer großangelegten Studie untersucht. Dabei wurden über 1400 Studienteilnehmern unterschiedlich emotional ansprechende und zum Vergleich neutrale Bilder präsentiert, während die Forscher ihre Gehirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomographie erfassten. Bei den positiv emotionalen Bildern handelte es sich beispielsweise um Menschen in Siegerposen oder um niedliche Tierfotos – bei den negativen etwa um Gewaltszenen. Als neutrale Eindrücke wurden unter anderem Haushaltsgegenstände gezeigt.

Wie zu erwarten war, erinnerten sich die Studienteilnehmer in einem späteren Gedächtnistest an die emotional positiv sowie negativ geprägten Bilder viel besser als an die neutralen. So konnten die Forscher gezielt untersuchen, wie sich diese intensivere Gedächtnisabspeicherung im Gehirn widergespiegelt hat. Grundsätzlich zeigte sich dabei ein bereits bekanntes Muster: Die Amygdala wurde aktiviert – eine Hirnstruktur, die für die Verarbeitung von Emotionen wichtig ist. Das verbesserte Abspeichern von emotionalen Bildern war zudem mit einer erhöhten Hirnaktivität in bereits bekannten Bereichen der Großhirnrinde verbunden. Doch dabei konnten die Wissenschaftler nun auch eine starke Aktivierung im Kleinhirn nachweisen.

Rolle im emotionalen Speicher-Netzwerk

Wie sie berichten, zeichnete sich dabei ab, dass das Kleinhirn während des besonders intensiven Abspeicherns der emotionalen Eindrücke mit diversen Bereichen des Großhirns im Informationsaustausch steht. Es empfängt demnach Daten vom sogenannten Gyrus Cinguli, einer Hirnregion, die bei der Wahrnehmung und Bewertung von Gefühlen eine Rolle spielt. Wie sich in den Ergebnissen der Hirnscans widerspiegelt, sendet das Kleinhirn wiederum Signale an verschiedene Hirnregionen. Unter anderem handelt es sich dabei um die Amygdala sowie den Hippocampus, dessen zentrale Rolle für die Gedächtnisabspeicherung bekannt ist.

„Die Befunde deuten darauf hin, dass das Kleinhirn ein integraler Bestandteil eines Netzwerks ist, welches für die verbesserte Abspeicherung emotionaler Informationen verantwortlich ist“, resümiert Seniorautor Dominique de Quervain von der Universität Basel das Ergebnis der Studie. Sie erweitert damit nun das Wissen über die Rolle des Kleinhirns bei komplexen kognitiven und emotionalen Prozessen. Den Forschern zufolge handelt es sich aber auch um ein Ergebnis der Grundlagenforschung, das in klinische Projekte einfließen könnte: „Die Ergebnisse könnten für das Verständnis psychiatrischer Probleme, wie der posttraumatischen Belastungsstörung oder Autismus-Spektrum-Störungen, von Bedeutung sein“, schreiben die Wissenschaftler.