Artikel von Wissenschaft ■
Gemeinsames Musizieren verlangt unserem Gehirn Höchstleistungen ab: Wir müssen uns nicht nur darauf konzentrieren, welche Töne wann und wie gespielt werden müssen, sondern zugleich auf unsere Mitmusizierenden achten und uns mit ihnen koordinieren. Mit einem eigens für die Forschung konstruierten MRT-kompatiblen Klavier haben Wissenschaftler nun beobachtet, wie das Gehirn von Pianisten arbeitet, während sie ein Duett mit einem Partner spielen. Demnach spielen die Musiker im Kopf die Stimme des Partners mit. Bei rhythmischen Diskrepanzen dagegen konzentrieren sie sich verstärkt auf sich selbst.
Was passiert im Gehirn, während wir musizieren? Diese Frage ist für Wissenschaftler normalerweise schwierig zu erforschen, denn MRT-Scans, die Einblicke ins Gehirn geben, erfordern nicht nur, dass der Kopf vollkommen ruhig liegt, sondern finden überdies in einer engen Röhre mit einem starken Magnetfeld statt. Doch in Kooperation mit einem Klavierbauer ist es Forschern des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig gelungen, ein Klavier zu entwickeln, dass Musiker im MRT spielen können. Mit nur 27 Tasten ist das Instrument klein genug, um mit in die Röhre zu kommen. Um Probleme mit dem Magnetfeld zu vermeiden, werden die Tastendrücke per Lichtleitung übertragen. In früheren Studien haben die Forscher damit bereits untersucht, was im Gehirn beim Solo-Spiel passiert.
Pianisten im MRT
Ein Team um MPI-Forscherin Natalie Kohler hat nun die Gehirne von Pianisten beim gemeinsamen Musizieren beobachtet. Dazu ließen die Forscher 40 Menschen, die seit vielen Jahren professionell Klavier spielen, zunächst jeweils acht kurze Musikstücke üben – mal sowohl die Melodie als auch die Bassstimme, mal nur die Melodie. Während der erste Teil des Stücks immer im gleichen Tempo geübt werden sollte, wiesen die Forscher die Probanden an, den zweiten Teil sowohl in einem schnellen als auch in einem langsamen Tempo einzustudieren.
Für das Experiment musizierten jeweils zwei Personen zusammen, wobei jeweils eine Person im MRT liegend mit der rechten Hand die Melodie spielte, die andere Person an einem normalen E-Piano die Bassstimme mit der linken Hand. Die Forscher beobachteten währenddessen die Hirnaktivität der Person im MRT-Scanner. „Wenn die Pianisten die Bassstimme kannten, waren die Hirnregionen aktiv, die für die Motorik des Spielens dieser Stimme zuständig sind – auch wenn sie vom Partner außerhalb gespielt wurde“, berichtet Kohler. „Zugleich waren aber auch Regionen aktiviert, die für das Hören zuständig sind. Das bedeutet, dass die Pianisten die Bassstimme nicht nur als Begleitung im Kopf mitspielten, sondern sich sogar deren Klang vorstellten, was natürlich nicht immer identisch mit dem Spiel des Partners war.“
Kleinhirn erkennt Asynchronität
Vor Beginn jedes Stücks zeigte ein kurzer Hinweis, ob der zweite Teil des Stücks schnell oder langsam gespielt werden sollte. Der Trick dabei: Während die Probanden glaubten, jeweils die gleiche Anweisung erhalten zu haben wie ihr Partner, erteilten die Forscher in einigen Versuchen inkongruente Anweisungen, sodass ein Musiker sich darauf einstellte, das Stück langsam fortzusetzen, der andere schnell. Aus früheren Studien ist bekannt, dass sich diese Erwartungshaltung bereits auf das Spielen des ersten Teils mit festgelegtem Tempo auswirkt. Damit die Probanden nicht merkten, dass ihr Partner eine andere Anweisung erhalten hatte, stellten die Forscher beide Klaviere im zweiten Teil des Stücks stumm und analysierten nur die Interaktionen beim ersten Teil.
Erwartungsgemäß schlich sich hier bei inkongruenten Anweisungen eine winzige rhythmische Asynchronität ein – was das Gehirn offenbar sofort registrierte: „Wenn der Partner die Tasten in einem anderen Tempo drückte als erwartet, wurde das Kleinhirn aktiviert, das ein guter Detektor für zeitliche Diskrepanzen ist. Dies ist bemerkenswert, da wir hier nur von wenigen Millisekunden Unterschied sprechen. Wir befinden uns also im absoluten Hochleistungssektor“, sagt Co-Autorin Daniela Sammler vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main.
Aufgabenteilung zwischen den Musiker-Hirnen
Während andere Studien mehrfach gezeigt haben, dass sich die Musizierenden in solchen Fällen schnell aneinander anpassen, stellten die Forscher bei den Personen im MRT einen anderen Effekt fest: „Je stärker das Kleinhirn durch zeitliche Asynchronitäten aktiviert wurde, desto weniger passten die Pianisten ihr Spielen an das des Partners an“, berichten sie. Stattdessen legte die Gehirnaktivität nahe, dass sich die Person im MRT stärker auf ihr eigenes Spielen konzentrierte.
Der Pianist am E-Piano, der nicht in der außergewöhnlichen MRT-Situation war, passte sich dagegen tatsächlich seinem Partner an. Die Forscher vermuten, dass dieser Effekt auf eine intuitive Verständigung zwischen den Musizierenden zurückzuführen ist. Derjenige, der unter schwierigeren Bedingungen spielt, kann sich dadurch mehr auf sich selbst konzentrieren, während der andere die kognitiv schwierige Aufgabe der Synchronisierung übernimmt. Die Studie gibt somit erste Einblicke, wie das Gehirn beim gemeinsamen Musizieren kognitive und sensorische Faktoren verknüpft und so ermöglicht, das eigene Spielen an die Situation anzupassen.