Gehörtraining oder Hörgerät?

Das Gehörtraining ist eine junge Therapieform und hat sich im Spannungsfeld der HNO‑Heilkunde, Hörgeräteversorgung und Selbsthilfe entwickelt. Anerkannt ist diese Therapieform vor allem in der Rehabilitation nach einer Versorgung mit einem Cochleaimplantat (CI). Gemäß der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie ist ein CI dann notwendig, wenn ein Hörgerät zum besseren Sprachverständnis nicht mehr ausreicht. Nach der Implantation eines CIs müssen die Patienten das Hören neu erlernen.

 

Dr. Alexandra Kupferberg


Wissenschaftliche Leitung und Redaktion: Dr. Alexandra Kupferberg

Als Neurowissenschaftlerin und Leiterin des «KOJ hearing research center» ist es ihre Aufgabe und Passion, die zentrale Verarbeitung des Gehirns und die Auswirkung von Hörminderung, respektive den therapeutischen Nutzen von Gehörtraining wissenschaftlich zu untersuchen. Dabei stehen ihr in ihrem weiten Netzwerk geschätzte Kollegen der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Professoren der Neurowissenschaften beratend zur Seite. Sie alle haben dasselbe Ziel: Die Lebensqualität der Betroffenen zu steigern.

Aktives Training ist nachweislich wirksam

Um mit dem CI ein Sprachverstehen zu erlangen, ist ein intensives Training erforderlich. So können die Teile des Gehirns, die für das Hören zuständig sind, die „neuronalen Areale“, wieder aktiviert werden. Für einen größtmöglichen Erfolg kann ein langwieriger Lernvorgang erforderlich sein. Die Übungen, die speziell für die Rehabilitation der CI-Patienten entwickelt wurden, fanden bald Eingang in die Versorgung Schwerhöriger mit Hörgeräten (Burian et al., 1986). Man nimmt an, dass die Wirksamkeit von Hörtraining auf der „auditiven Formbarkeit“ (Plastizität) beruht. Das passive Training durch tägliche Hörerfahrungen reicht jedoch nicht aus, um die Plastizität des zentralen Hörbahnsystems optimal auszuschöpfen. Vielmehr wird dafür aktives Training in Ruhe (Schumann et al., 2014; Stacey et al., 2010) sowie bei Hintergrundgeräusch (Oba et al., 2011) benötigt.

Ein aktives Hörtraining für CI-Patienten kann zum Beispiel Alltagsgeräusche und Musikinstrumente beinhalten, die der Patient voneinander zu unterscheiden lernt. Anfangs lernt man, grobe Unterschiede herauszuhören, später auch kleine Differenzen wahrzunehmen. Als Nächstes werden Lauterkennung und Zahlerkennung trainiert. Später kommen Übungen zur Worterkennung in steigenden Schwierigkeitsgraden hinzu. Weitere Aufgaben könnten das Verständnis und die Wiedergabe von vorgelesenen Texten, Gedichten und Zeitungsartikeln beinhalten. Wichtig ist, dass alle Übungen auf den individuellen Stand des CI-Trägers zugeschnitten sind.

Trotz Problemen im Alltagsleben und im Büro benutzen ca. 80 Prozent der Schwerhörigen im Alter von 54 bis 75 Jahren ihre Hörgeräte nicht regelmäßig oder lassen sie gar weg (McCormack and Fortnum, 2013). Die meisten geben an, dass sie keinen Nutzen empfinden, vor allem in Situationen mit Hintergrundgeräuschen wie bei einem Essen im Restaurant oder bei einem Familientreffen (Lupsakko et al., 2005). Trotz des technischen Fortschritts in den letzten Jahren und den ständigen Bemühungen der Hersteller, Geräuschreduzierungssysteme in Hörgeräte einzubauen, ist es fast unmöglich, Hintergrundgeräusche zu unterdrücken. Aus diesem Grund ist das Verstehen von Sprache in lauter Umgebung immer noch etwas, was die Patienten müde macht und manchmal auch nicht gelingt. Denn das Verstehen von Sprache bei lautem Nebengeräusch ist für sie wie ein Ratespiel, bei dem sie den Kontext nutzen, um die Lücken in den eingehenden Sprachsignalen zu vervollständigen und Verzerrungen auszugleichen. Für solche Situationen kann das auditorische Training hilfreich sein. Eine Reihe von Untersuchungen deutet darauf hin, dass Übungen zum Sprachverstehen im Hintergrundgeräusch selektive Wahrnehmung und so das Sprachverständnis von Wörtern oder Sätzen bedeutend verbessern (Burk Matthew H. and Humes Larry E., 2007; Burk et al., 2006; Cainer et al., 2008; Sullivan et al., 2013; Yund and Woods, 2010, 2010). Schon nach einer kurzen Trainingsdauer sind physiologische Veränderungen im Gehirn erkennbar und auch noch Monate nach dem Training nachweisbar (Song et al., 2012).

Ein weiteres Problem bei der Verwendung der Hörgeräte besteht darin, dass es manchmal zu akustischen Verzerrungen kommt (Gil and Iorio, 2010; Olson, 2015). Nicht alle Hörgeräteträger schaffen es, die durch die Technik verzerrten Signale zu interpretieren. Hier kann auditorisches Training dem Gehirn helfen, diese veränderten Signale mit einem bestehenden Gedächtnis für Klänge und Wörter zu verbinden. Die Verbesserungen im Sprachverstehen basieren dabei zum einen auf einer  Vergrößerung der Anzahl von Neuronen, die auf Schallreize reagieren (Bakin and Weinberger, 1990), und zum anderen auf verbesserter neuronalen Synchronität (Tremblay, 2005). Diese „kortikale Plastizität“ aufgrund von auditorischer Stimulation wurde nicht nur  bei Ratten (Villers-Sidani et al., 2010), sondern auch bei Menschen (Anderson et al., 2013; Filippini et al., 2012; Gil and Iorio, 2010; Tremblay et al., 2001, 2009)nachgewiesen.

 

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Quelle: http://koj.dev10.econsor-programming.de/?na=v&nk=4341-7926d2fe3d&id=30