Das Tragen eines Hörgeräts kann den Beginn einer Demenz verzögern, indem es die Alterung des Gehirns um acht Jahre verlangsamt

Dr. Aleksandra Kupferberg – Veröffentlicht als Newsletter 07.2019

In den letzten Jahren haben mehrere Studien einen Zusammenhang zwischen Hörverlust und neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer gezeigt, aber es war unklar, ob Hörverlust ein Symptom der Krankheit oder eine der Ursachen ist. Eine neue Studie kommt zu dem Schluss, dass Menschen, die ein Hörgerät für altersbedingte Hörprobleme tragen, im Laufe der Zeit eine bessere Gehirnfunktion haben als Menschen, die dies nicht tun.

Anne Corbet, PhD, bei der Vorstellung ihrer Studie in Los Angeles. ÜBER IHRE ARBEIT: Die Studie mit dem Titel PROTECT baut auf den jüngsten Erkenntnissen der „Lancet Commission on Dementia Prevention, Intervention and Care“ auf, die darauf hindeuteten, dass Hörverlust ein wichtiger Risikofaktor für Demenz ist. Die Studie wurde von der University of Exeter und dem King’s College London durchgeführt und auf der Alzheimer’s Association International Conference in Los Angeles (14. bis 18. Juli 2019) vorgestellt. Das Poster trägt den Titel „Die Verwendung von Hörgeräten bei älteren Erwachsenen mit Hörverlust ist mit einer verbesserten kognitiven Trajektorie verbunden“.

 

 

Hörgeräte verbessern das Arbeitsgedächtnis

Nach neuesten Erkenntnissen aus einer Studie, an denen 25.000 Menschen im Alter von 50 Jahren und älter beteiligt waren, kann ein Hörgerät das Gehirn schützen und das Demenzrisiko reduzieren. Die Studie umfasste jährliche kognitive Tests über zwei Jahre lang in einer Gruppe von Menschen, die Hörgeräte trug, und einer anderen Gruppe, die dies nicht tat. Die Ergebnisse liefern erste Hinweise darauf, dass das Tragen eines Hörgeräts dazu beitragen kann, das Gehirn zu schützen und das Risiko einer Demenz zu verringern. Die Forscher haben herausgefunden, dass Menschen, die ein Hörgerät für altersbedingte Hörprobleme tragen, ein besseres Kurzzeitgedächtnis haben und sich besser konzentrieren können als diejenigen, die es nicht tun. Nach zwei Jahren des Tragens eines Hörgeräts entsprach die Konzentrationsfähigkeit einer acht Jahre jüngeren Person, so die Untersuchung.

Hörgeräteträger haben weniger Konzentrationsprobleme

Die Probanden mit Hörgeräten hatten schnellere Reaktionszeiten bei bestimmten Aufgaben – im Alltag ist dies ein Spiegelbild der Konzentration –, z. B. „Anstrengung, ein Geräusch zu hören“, „aufmerksamer Blick auf ein interessantes Objekt“, „aufmerksames Zuhören einer Person“. Die Verringerung der Konzentration bei Menschen ohne Hörgeräte ist ein Schlüsselfaktor für den breiteren kognitiven Rückgang, den Menschen mit Demenz erleben. Es ist noch nicht klar, warum Hörgeräte diesen positiven Effekt haben, allerdings meinten die Forscher, dass es daran liegen könnte, dass ein verbessertes Hören einer Person hilft, mehr an ihrer Umgebung teilzunehmen, sodass sie sich besser fühlt und das Gehirn stimuliert. „Hörverlust trägt zur sozialen Isolation und Depression bei, die Risikofaktoren für Demenz sind“, äusserte sich Professor Clive Ballard von der University of Exeter.

Hörgeräte wirken protektiv auf mentale Gesundheit

PROTECT-Leiterin Dr. Anne Corbett von der Universität Exeter betonte ausserdem: „Unsere Arbeit ist eine der grössten Studien, in der Auswirkungen des Tragens eines Hörgeräts untersucht wurden. Sie legt nahe, dass Hörgeräte das Gehirn tatsächlich schützen könnten. Wir brauchen jetzt mehr Forschung und eine randomisierte klinische Studie, um dies zu testen und vielleicht politische Massnahmen einzuführen, um die Gesundheit der Menschen im späteren Leben zu erhalten.“

Professor Clive Ballard von der University of Exeter Medical School führte aus: „Wir wissen, dass wir das Demenzrisiko um ein Drittel senken könnten, wenn wir alle ab der Mitte des Lebens handeln würden. Diese Forschung ist Teil einer wesentlichen Arbeit, um herauszufinden, was wirklich funktioniert, um unser Gehirn gesund zu halten. Dies ist eine frühe Erkenntnis und bedarf weiterer Untersuchungen, sie hat aber ein spannendes Potenzial. Die Botschaft hier ist die folgende: ‚Wenn Ihnen mitgeteilt wird, dass Sie ein Hörgerät benötigen, finden Sie eines, mit dem Sie zufrieden sind. Zumindest wird es Ihr Gehör verbessern und es könnte helfen, Ihr Gehirn auf Trab zu halten.‘“ (Quelle)

Hörtraining wirkt entscheidend

Im Alter kommt es häufig vor, dass das Sprachverständnis in lauter Umgebung nachlässt, selbst wenn der Hörverlust durch Schädigung der Haarzellen im Ohr geringfügig ist. Diese Einschränkung wird typischerweise als „Altersschwerhörigkeit“ bezeichnet. Die Gründe dafür sind zum einen die degenerativen Veränderungen am Hörorgan selbst, zum anderen die altersbedingten Abbauprozesse, die sich auf das Gedächtnis, die Verarbeitungsgeschwindigkeit und die Aufmerksamkeit negativ auswirken. Die Versorgung mit einem Hörgerät, welches nur als Verstärker wirkt, führt deshalb nicht immer sofort zur Lösung des Problems und sollte von einem aktiven kognitiven Training begleitet werden. Die Neurowissenschaftlerin Dr. Alexandra Kupferberg, die zurzeit die Effizienz des Koj-Hörtrainings in einer Vergleichsstudie in Kollaboration mit 3 verschiedenen Universitäten untersucht, macht auf einen weiteren Aspekt des Hörtrainings aufmerksam: „Wenn man bereits seit längerer Zeit schlecht hört, lassen auch die kognitiven Fähigkeiten wie Gedächtnis und Aufmerksamkeit nach, weil man nicht mehr so gern oder oft kommuniziert. Man zieht sich immer mehr aus dem sozialen Leben zurück. Daher ist es kein Wunder, dass Studien ein höheres Risiko für Demenz und Depression bei älteren Schwerhörigen zeigen. Zusammenfassend lässt es sich also sagen, dass die Hörgeräteversorgung für das Ohr wichtig ist, aber das Hörtraining für das Gehirn. Beides zusammen hilft den Schlechthörenden dabei, bis ins hohe Alter sozial aktiv zu bleiben, und trägt dazu bei, das Risiko für Demenz und Altersdepression zu verkleinern.“ (Mehr Informationen)

 


Die Autoren

Dr. Alexandra Kupferberg
Dr. Alexandra Kupferberg

Die Neurowissenschaftlerin Dr. Aleksandra Kupferberg erforschte als Postdoktorandin an der Universität Bern bei Professor Gregor Hasler das soziale Verhalten bei psychischen Störungen und übernahm 2017 die wissenschaftliche Leitung des KOJ-Hearing-Research-Centers. In ihrer Doktorarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München verwendete sie bildgebende Methoden, um die neuronalen Korrelate des sozialen Verhaltens zu untersuchen. Beim KOJ-Hearing-Research-Center führt sie klinische Studien zur Wirksamkeit des Hörtrainings durch, unterstützt die Weiterentwicklung der Lernprogramme aus psychologischer Sicht, betreut die Zusammenarbeit mit den Ärzten und Kliniken, publiziert über aktuelle Themen in der Hörforschung und ist Ansprechpartnerin für alle forschungsrelevanten Fragen.