Zitiert von RUB – Ruhr Universität Bochum.
NEUROWISSENSCHAFT – Das Gehirn gewöhnt sich nicht an Altersschwerhörigkeit, sodass das Gedächtnis leidet.
Wenn im Alter das Gehör nachlässt, steigt das Risiko für Demenzerkrankungen und kognitiven Verfall. Warum das so ist, war bisher unklar. Ein Team aus der Neurowissenschaft der Ruhr-Universität Bochum (RUB) hat nun mit Untersuchungen an Mäusen herausgefunden, was im Gehirn passiert, wenn das Hörvermögen nach und nach schlechter wird: Hirnbereiche werden umorganisiert, worunter das Gedächtnis leidet. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift „Cerebral Cortex“ vom 20. März 2020 online veröffentlicht.
An der Studie haben Daniela Beckmann, Mirko Feldmann, Olena Shchyglo und Prof. Dr. Denise Manahan-Vaughan aus der Abteilung für Neurophysiologie gemeinsam gearbeitet.
Wenn eine Sinneswahrnehmung fehlt
Die Forscherinnen und Forscher untersuchten eine spezielle Gruppe von Mäusen, die zwar mit einem intakten Hörvermögen geboren werden, jedoch durch einen angeborenen Gendefekt einen graduellen Hörverlust erleiden, der dem der Altersschwerhörigkeit beim Menschen ähnelt. Sie analysierten die Dichte der für die Gedächtnisbildung relevanten Botenstoffrezeptoren im Gehirn der Tiere und verglichen die Ergebnisse mit den Gehirnen von gesunden Mäusen. Sie erforschten außerdem, inwieweit die Informationsspeicherung im wichtigsten Gedächtnisorgan des Gehirns, dem Hippocampus, beeinflusst wird.
Anpassungsfähigkeit des Gehirns leidet
Die so gewonnenen Daten zeigten, dass die synaptische Plastizität im Hippocampus durch den graduellen Verlust des Hörvermögens beeinträchtigt ist. Die synaptische Plastizität wiederum ermöglicht die langfristige Speicherung von Erlebnissen, dadurch werden Erinnerungen gebildet und festgehalten. Die Verteilung und Dichte von Botenstoffrezeptoren änderte sich stetig. Mit Fortschreiten der Schwerhörigkeit verstärkten sich auch die Effekte im Gehirn. Darüber hinaus zeigten die schwerhörigen Mäuse zunehmende Einschränkungen bei ihrer Gedächtnisleistung. „Unsere Ergebnisse bieten neue Einblicke in die mutmaßliche Ursache für den Zusammenhang zwischen kognitivem Verfall und altersbedingtem Hörverlust bei Menschen“, so Denise Manahan-Vaughan. „Wir glauben, dass die ständigen Veränderungen der Neurotransmitterrezeptorexpression, die durch fortschreitenden Hörverlust verursacht werden, auf der Ebene der sensorischen Informationsverarbeitung zu einer Art Treibsand führen, der verhindert, dass der Hippocampus effektiv arbeitet“, fügt sie hinzu.
Die Studie wurde durch den Sonderforschungsbereich (SFB) 874 der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Der SFB 874 „Integration und Repräsentation sensorischer Prozesse“ besteht seit 2010 an der RUB. Die Forscherinnen und Forscher beschäftigen sich mit der Frage, wie sensorische Signale neuronale Karten generieren, und wie daraus komplexes Verhalten und Gedächtnisbildung resultiert. Daniela Beckmann und Mikro Feldmann haben zudem das MD-Programm speziell für Medizinstudierende des SFB 874 und der International Graduate School of Neuroscience absolviert.
Daniela Beckmann, Mirko Feldmann, Olena Shchyglo, Denise Manahan-Vaughan: Hippocampal synaptic plasticity, spatial memory, and neurotransmitter receptor expression are profoundly altered by gradual loss of hearing ability, in: Cerebral Cortex, 2020, DOI: 10.1093/cercor/bhaa061