Schwindel kennt jeder. Doch wie entsteht die Karussellbewegung im Kopf und was haben die Beschwerden mit dem Gehör zu tun? Was Fachärzte der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde dazu sagen.
Der Kompass des Körpers steckt im Ohr. Ohne ihn würde der Mensch schwanken, keinen geraden Schritt zustande bekommen. Er ist ein komplexes System, bei dem die Gleichgewichtsorgane im Innenohr, die Augen und die Körperwahrnehmung von Haut, Muskeln und Gelenken optimal zusammenspielen müssen. Passiert das nicht, setzt sich im Kopf ein Karussell in Gang: Der Betroffene nimmt die Umwelt oder sich selbst in Bewegung wahr, obwohl er steht.
Jeder dritte Bundesbürger leidet mindestens einmal unter Schwindelattacken
Eine Schwindelattacke gehört zu den häufigsten Beschwerden, mit denen Patienten zum Arzt kommen. Etwa jeder Dritte erlebt im Laufe seines Lebens mindestens einmal eine Attacke. Besonders Älteren macht der Schwindel zu schaffen, Frauen sogar häufiger als Männern. Die Ursachen sind vielfältig, weshalb Schwindelattacken immer ärztlich abgeklärt werden sollten.
Häufig wird ein sogenannter peripherer vestibulärer Schwindel diagnostiziert. Darunter verstehen Mediziner eine Erkrankung des Innenohrs oder des Gleichgewichtsorgans sowie des Gleichgewichtsnervs. Typisch ist hierbei der gutartige Lagerungsschwindel, bei dem sich kleine Kalziumkristalle im Innenohr verirrt haben und die dortigen Sinneszellen reizen. Bewegt sich ein Betroffener aus der Vertikalen in die Horizontale, bewegen sich die Kristalle entsprechend der Schwerkraft, täuschen eine Bewegung vor und lösen Schwindel aus.
Tritt Schwindel als Begleiterscheinung einer neurodegenerativen Erkrankung auf wie bei Morbus Parkinson oder bei Blutdruckerkrankungen, sprechen Ärzte von nicht peripherem vestibulären Schwindel. Dies kann auch der Fall sein, wenn Patienten nach einem Schlaganfall oder nach der Einnahme von Medikamenten über diese Symptome klagen. Es gibt aber auch den sogenannten somatoformen Schwindel, der vor allem bei Menschen auftritt, die an einer Depression oder einer Angsterkrankung leiden – sich also beispielsweise vor großen Menschenmengen fürchten oder sich auf Türmen oder Leitern unwohl fühlen. Herzrasen oder Übelkeit sind weitere Begleiterscheinungen.
Verschlechtert sich das Gehör, leidet auch der Gleichgewichtssinn
Inzwischen sind sich Forscher sicher, dass auch ein anderes Sinnesorgan eine wichtige Rolle dabei spielt, wenn Menschen aus dem Gleichgewicht geraten: „An den komplexen Vorgängen rund um die Kontrolle von Gleichgewicht und Körperhaltung ist möglicherweise auch das Hörsystem beteiligt – das legen zumindest einige Studien aus den vergangenen Jahren nahe“, sagt etwa Ingmar Seiwerth, HNO-Facharzt am Universitätsklinikum Halle.
So deutet schon die anatomische Lage des Gleichgewichtsorgans darauf hin, dass das Gehör des Menschen den aufrechten Gang erleichtert: Denn die wichtigsten Informationen darüber, wie und wo sich der Körper in einem Raum bewegt, liefere das sogenannte Vestibularorgan, das paarig angelegte Organ des Gleichgewichtssinns, sagt Seiwerth. Es kann auf Drehbewegungen reagieren und registriert vertikale oder horizontale Bewegungen. „Diese Strukturen befinden sich in unmittelbarer Nähe zur rechten und linken Hörschnecke und stehen mit diesen in Verbindung.“ Ein weiterer Grund, der dafür spricht, dass das Gehör den Gleichgewichtssinn beeinflusst, ist die Beobachtung, dass ein zunehmender Hörverlust im Alter mit einem Ansteigen des Sturzrisikos einhergeht, so der HNO-Facharzt. Viele Patienten würden bestätigen, dass ihr Gang durch das Tragen eines Hörgeräts sicherer geworden sei.
Sturzgefahr im Alter steigt
Welche Mechanismen dabei wirksam werden, ist noch weitgehend unklar. Es hat sich aber in Versuchen mit gesunden Menschen gezeigt, dass Höreindrücke wie auditorische Landmarken wirken und die Orientierung im Raum erleichtern können. Je reichhaltiger diese klangvollen Höreindrücke waren, umso besser hielten die Menschen ihr Gleichgewicht. Wurden den Versuchsteilnehmern dagegen diese Höreindrücke per Kopfhörer eingespielt, kam dieser Effekt nicht zustande. „Man kann also sagen, dass die Reize, die über das Gehör wahrgenommen werden, die anderen Sinnesorgane, die für das Gleichgewicht wichtig sind, stimulieren.“ Der stabilisierende Effekt sei gerade dann besonders hoch, wenn eine der anderen drei Achsen beeinträchtigt sei – etwa bei Sehstörungen oder einer krankhaften Veränderung im Gleichgewichtsorgan. „In diesen Fällen ist es denkbar, dass etwa Hörgeräte über die reine Hörverbesserung hinaus auch die Gleichgewichtsregulation unterstützen könnten“, sagt Seiwerth. Um diese Fragen wissenschaftlich fundiert beantworten zu können, seien weitere Studien notwendig.
Schwindelattacken immer medizinisch abklären lassen
Grundsätzlich gilt: Schwindelattacken müssen nicht zwangsläufig auf eine schlimme Erkrankung hindeuten, gleichzeitig darf man leichte Anfälle auch nicht verharmlosen. Hilfreich für die Diagnose ist es, wenn man den Typus des Schwindels beschreiben kann: Tritt er beispielsweise nach dem Aufwachen auf? Beim schnellen Aufstehen vom Stuhl? Handelt es sich um eine Gangunsicherheit? Wird einem schwarz vor Augen? Diese Einteilung hilft Ärzten, um dem Schwindel auf die Spur zu kommen. Die gute Nachricht ist: Fast immer lässt sich die Drehbewegung stoppen – je nach Diagnose mithilfe von Medikamenten, Gleichgewichtsübungen und Psychotherapie.