Aktueller Wissensstand und Bedeutung für HNO-Ärzte; Ein Fortbildungsartikel der HNO-Nachrichten 2020. Geschrieben von Dr. med. Anna Buadze, Dr. med. Pascal Burger, Dr. rer. nat. Alexandra Kupferberg und Prof. Dr. med. Gregor Hasler.
Hörstörungen entpuppen sich manchmal als Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Diese Erfahrung haben schon viele HNO-Ärzte gemacht. Deswegen sollten sie in der Lage sein, die Symptome einer ADHS von einer reinen Hörstörung oder einer Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung oder einer Rechtschreib- sowie Sprachentwicklungsstörung zu unterscheiden. Gegebenenfalls empfiehlt sich dann eine Überweisung an einen Psychiater, bei dem die weiterführende Diagnostik, Beratung und Behandlung erfolgen kann.
Wenn Kinder „nicht zuhören“ oder verzögert reagieren, wenn sie angesprochen wurden, liegt der Verdacht auf eine Hörstörung nahe. Meistens suchen besorgte Eltern einen HNO-Arzt auf. Manchmal ergibt die pädaudiologische Untersuchung dann aber keine auffälligen Befunde. In diesem Fall sollte der HNO-Arzt, insbesondere bei ausgeprägter motorischer Unruhe des Kindes sowie mangelnder Konzentration und Ausdauer, nicht nur an eine Schwerhörigkeit, sondern auch an eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) denken. Tatsächlich zeigen Kinder, die mit nicht diagnostiziertem Hörverlust kämpfen, oft ähnliche Probleme wie Kinder mit ADHS: unzureichende schulische Leistungen, Schwierigkeiten beim Aufrechterhalten der Aufmerksamkeit oder Konflikte in sozialen Beziehungen. In einigen Fällen ist ein Kind von ADHS und Schwerhörigkeit betroffen. Es ist wichtig, die Gründe für die schlechten schulischen Leistungen oder die fehlende Aufmerksamkeit genau zu bestimmen, um eine Fehldiagnose von ADHS und die damit verbundenen Konsequenzen zu vermeiden.
Erschwertes Sprachverstehen bei Hintergrundgeräuschen
Die Fähigkeit, Sprache während der täglichen Kommunikation präzise zu verarbeiten, ist komplex und hängt ab von einer intakten Hörfähigkeit und gesunden kognitiven Funktionen wie der angemessenen Zuteilung von Aufmerksamkeitsressourcen und der gleichzeitigen Manipulation und Aufrechterhaltung der auditorischen Information durch das Arbeitsgedächtnis [1]. Üblicherweise erreicht die Sprache im normalen Gespräch durch das auditorische System mit 140 bis 180 Wörtern pro Minute das Gehirn [2]. Die auditorische Information wird kodiert und zur weiteren Verarbeitung an die kortikalen Bereiche weitergeleitet, woraufhin die phonologische Analyse und lexikalische Identifizierung erfolgen. Komplexe Hörbedingungen mit Hintergrundgeräuschen oder mehreren Sprechern machen den normalerweise automatischen Prozess der Dekodierung und lexikalischen Extraktion von Informationen, die zum Verstehen gesprochener Worte und zur Erkennung von Klangunterschieden benötigt werden, aufwendig [3, 4, 5]. Es werden mehr kognitive Ressourcen wie Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis benötigt. Bei mehreren Sprechern muss der Zuhörer seine Aufmerksamkeit auf mehrere Schallquellen aufteilen und gleichzeitig mehrere auditive Informationen verarbeiten, während das Arbeitsgedächtnis benötigt wird, um das Gehörte präsent zu halten und gleichzeitig Repräsentationen im Langzeitgedächtnis zu aktivieren [6].
Es ist also nicht verwunderlich, dass ein überlastetes Arbeitsgedächtnis [7, 8, 9] als mögliche Ursache für eine gestörte Unterdrückung von ablenkenden Reizen diskutiert wurde [10]. In der Tat gibt es empirische Belege für eine starke Korrelation zwischen Messungen der Arbeitsgedächtniskapazität und der Spracherkennung im Lärm [6, 11].
Aufgrund von Aufmerksamkeitsproblemen haben Kinder mit ADHS Schwie rigkeiten, sich auf die relevanten auditorischen Stimuli zu konzentrieren, insbesondere, wenn Hintergrundgeräusche vorhanden sind. Darüber hinaus gelingt es ihnen nicht, sich in Gegenwart „interessanterer“ auditorischer und/oder visueller Umgebungsreize – wie zum Beispiel Flüstern, Bewegung im Raum oder auch Verkehrslärm beim offenen Fenster – auf die relevanten auditorischen Stimuli zu fokussieren, ihre Aufmerksamkeit wird leicht von der eigentlichen Aufgabe abgelenkt [12]. Ein Grund für diese scheinbare Ablenkbarkeit könnte die verringerte Fähigkeit sein, Stimuli zu hemmen, die für die aktuelle Aufgabe irrelevant sind [10], und sich ausschließlich auf die relevanten akustischen Zielsignale zu konzentrieren [13]. Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass bei Kindern mit ADHS aufgabenirrelevante neuartige Umgebungsgeräusche die Leistung bei einer visuellen Diskriminationsaufgabe stärker einschränken als bei gesunden Kontrollpersonen [14].
Andere Studien haben einen negativen Effekt irrelevanter Geräusche auf die serielle Gedächtnisleistung bei ADHS im Vergleich zu Kontrollteilnehmern [15] sowie eine Überempfindlichkeit gegen über lauten Geräuschen gezeigt [16, 17]. Darüber hinaus machten Kinder mit ADHS im Vergleich zu Kontrollgruppen von Kindern ohne ADHS bei Aufmerksamkeitstests mehr Fehler, wenn sie durch kombinierte visuelle und auditive Stimuli abgelenkt wurden [18]. Bei akademischen Aufgaben wie beim Lesen und Schreiben berichteten junge Erwachsene mit ADHS, denen Klassen zimmergeplapper als Hintergrundgeräusch präsentiert wurde, über signifikant höhere Schwierigkeiten im Vergleich zu ruhigen Bedingungen [19].
Eine andere Studie hat eine stärkere Abnahme der Leistungsgenauigkeit bei einer auditorischen Diskriminationsaufgabe (Unterscheidung von Tierlauten) durch aufgabenirrelevante Geräusche bei Kindern mit ADHS im Vergleich zu Kontrollgruppen gezeigt [20]. Eine mangelhafte Inhibition wird durch die mangelhafte exekutive Kon trolle erklärt. Diese Kontrollprozesse sind notwendig, um gleichzeitig den pho nologischen Input aufrechtzuerhalten, ir relevante akustische Informationen zu ig norieren und visuelle Sprachhinweise zu integrieren, damit die genauen sprachli chen Darstellungen aus dem Langzeitge dächtnis abgerufen werden können [21]. So nutzen junge Erwachsene mit ADHS in Gegenwart von störenden Hinter grundgeräuschen weniger audiovisuelle Hinweise zur Sprachverarbeitung als ge sunde Kontrollpersonen [22]. Die Schwierigkeiten, in einer lauten Umgebung den Gesprächspartner gut zu verstehen, führen dazu, dass Betroffene Details verpassen. Bei Kindern werden dieselben Mängel häufig als oppositio nelles Verhalten empfunden, wenn eine Bitte nicht gehört wird. Bei Erwachse nen können Kommunikationsprobleme zu Schwierigkeiten mit Ehepartner und Familie führen [23, 24]. Obwohl Kinder mit ADHS im Vergleich zu Kontrollgruppen Gesunder als anfälliger für Ablenkungen durch Hintergrundgeräusche gelten, konnte auch gezeigt werden, dass Studienteilnehmer mit ADHS unter bestimmten Umständen sogar einen Vorteil durch Lärm und andere aufgabenirrelevante Geräusche, die gleichzeitig mit der Zielaufgabe präsentiert wurden, gewinnen konnten. Beispielsweise wurden Kinder mit ADHS nicht durch Hintergrundmusik abgelenkt, sondern zeigten stattdessen eine Verbesserung beim Lösen einer Rechenaufgabe [25].
Darüber hinaus konnte ein weißes Rauschen (Rauschen mit einem kon stanten Leistungsdichtespektrum in ei nem bestimmten Frequenzbereich) die Leistung bei einer FreeRecallAufgabe verbessern. Weißes Rauschen wird als ein stark höhenbetontes Geräusch emp funden. Weißes, in der Bandbreite be schränktes Rauschen wird in den Ingenieur und Naturwissenschaften häufig verwendet, um Störungen in einem sonst idealen Modell abzubilden, um etwa zufällige Störungen in einen Übertragungskanal zu beschreiben [26].
So scheint die Maskierung mit weißem Rauschen oder Musik in der Tat einen positiven Effekt auf die Aufmerksamkeitsleistung zu haben, wenn die Maskierung die negativen Auswirkungen anderer konkurrierender Geräusche, wie beispielsweise potenziell ablenkende Stimmen in der Umgebung, übertönt und es ermöglicht, sich effizienter auf die Aufgabe zu konzentrieren. In einer Studie wurde gezeigt, dass ein bedeutungsfreier Lärm mit einer Lautstärke von 65 bis 80 dB den maximal positiven Effekt für die Konzentration bietet. Bei einem Geräuschpegel von 70 dB konnten Kinder mit ADHS schneller schreiben und lesen als in einer ruhigen Umgebung oder bei leisen Hintergrund geräuschen [27].
Pharmako- und Verhaltenstherapie als Behandlungsansatz
Leitlinien zur ADHS-Therapie bei Kindern und Jugendlichen empfehlen eine multimodale Behandlung einschließlich Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie [28]. Der Standardansatz zur Behandlung der schlechten auditorischen Verarbeitungsleistung bei ADHS ist die Verwendung von stimulierenden Medikamenten (Methylphenidat und Dexamphetamin) [29]. Obwohl diese Medikation einen positiven Effekt auf die Linderung von ADHS-Symptomen aufweist und die Akzeptanz von Hintergrundgeräuschen erhöhen könnte [30], gibt es Einschränkungen. Eine davon ist die allgemeine Verstärkung der neurokognitiven Funktionen durch Medikamente [31].
Weiterhin zeigen Medikamente nur geringe Effekte auf die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten [32], und führen in einigen Fällen sogar zu einer gesteigerten Ablenkbarkeit [33]. Ein ungenügendes Ansprechen [34] sowie unerwünschte Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit und Appetitlosigkeit [35] führen dazu, dass etwa 20% der Personen mit ADHS die Einnahme von Stimulanzien innerhalb des ersten Jahres nach der Einnahme einstellen [36].
Tab. 1: Übersicht der Übungsarten der KOJ-Gehörtherapie | |
Trainierte Fähigkeiten | Beispielübungen |
einfaches Sprachverstehen | Erkennen von Toncharakteristika, Verstehen von Zahlen und Silben, Verstehen von einsilbigen und zweisilbigen Wörtern |
akustische Lokalisation | Erkennen, aus welcher Richtung die Stimuli kommen, wenn zwei verschiedene Wörter jeweils von rechts und links zeitgleich ertönen |
auditives und visuelles Gedächtnis |
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auditive Analyse | Verstehen schneller Sprache und unterschiedlicher Dialekte |
akustische Separation | Verstehen von zwei gleichzeitig gesprochenen Wörtern |
akustische Selektion | Verstehen von einer Stimme und Ausblenden einer anderen bei zwei gleichzeitig sprechenden Personen |
auditive Aufmerksamkeit | Detektion von bestimmten Wörtern in einem längeren gesprochenen Text |
Bedeutung kognitiven Trainings bei ADHS
Es wird angenommen, dass das kognitive Training die ADHS-Symptomatik reduzieren und die Funktionsfähigkeit verbessern kann, indem es neuropsychologische Defizite mindert, die den Symptomen zugrundeliegen [37]. Man geht davon aus, dass aufgrund der Plastizität des Gehirns das kognitive Training wesentliche Hirnnetzwerke stärkt und ent- wickelt [38] und zugrundeliegende kognitive Prozesse in Gang setzt, indem das Gehirn gut definierten Lernaufgaben ausgesetzt wird [37, 39].
In Übereinstimmung mit der komplexen Natur der Neuropsychologie bei ADHS zielen die in den kognitiven Trainings vorgestellten Aufgaben darauf ab, eine Fülle von Fähigkeiten wie Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit, inhibitorische Kontrolle, Planung und Verarbeitungsgeschwindigkeit zu verbessern. Das Training kann am Computer oder mit Stift und Papier präsentiert werden. Dabei ist es wichtig, den Teilnehmer engagiert und motiviert zu halten und auf einem Niveau zu üben, das seinen aktuellen Fähigkeiten entspricht oder leicht darüber liegt [40, 41]. Das Training ist außerdem adaptiv. Das bedeutet, die Schwierigkeit der Aufgabe wird an die Leistung des Teilnehmers angepasst.
Studien konnten zeigen, dass computergestütztes Training, das insbesondere auf die Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses ausgerichtet war, zu einer Verringerung der von den Eltern bewerteten aufmerksamkeitsbezogenen Symptome von ADHS [42] und zu einer Verbesserung der Sprachwahrnehmung bei gleichzeitigem Lärm führen kann [43, 44, 45]. Es konnten jedoch keine Verbesserungen in anderen Bereichen der allgemeinen Funktionalität [46], der schulischen Leistungen, des Verhaltens im Unterricht oder der Lebensqualität fest- gestellt werden [47].
Eine weitere Studie zeigte eine Verbesserung der inhibitorischen Kontrolle und der Ausprägung der allgemeinen ADHS-Symptome bei Kindern nach der Verwendung eines neuartigen computergestützten Trainingsprogramms, in welchem die adaptive Unterdrückung von auditiven und visuellen Distraktoren (ablenkenden Stimuli) trainiert wurde [48]. Eine aktuelle Metaanalyse von 14 Studien [49], die Effekte des kognitiven Trainings bei ADHS untersuchten, zeigte positive Ergebnisse in Bereichen Aufmerksamkeit [47, 50, 51, 52, 53], Arbeitsgedächtnis [47, 52, 54, 55], Inhibition [47, 50, 51, 52, 54, 56], visuell-räumliches Kurzzeitgedächtnis [50, 54], verbales Kurzzeitgedächtnis [50], Aufmerksamkeitskontrolle [57], Verarbeitungsgeschwindigkeit [58] und logisches Denken [50].
KOJ-Gehörtherapie als auditorisches kognitives Training
Die gängigsten computerbasierten auditorischen Trainingsprogramme verfolgen das Ziel, kognitive Fähigkeiten zu schulen, die für das Sprachverstehen eine grundlegende Rolle spielen. So können vor allem das Hören und Verstehen in schwierigen Situationen, etwa bei gleichzeitigem Hintergrundgeräusch oder Störlärm, systematisch trainiert werden. Parallel dazu werden wichtige kognitive Funktionen wie die Aufmerksamkeit, das Arbeitsgedächtnis, exekutive Funktionen und Verarbeitungsgeschwindigkeit trainiert, deren Verbesserung sich positiv auf allgemeine ADHS-Symptome auswirkt.
Das am besten wissenschaftlich erforschte auditorische Training LACE (Listening and Communication Enhancement) wurde von der Firma NeuroTone entwickelt, ist jedoch nur in englischer Sprache erwerbbar. Im deutschsprachigen Raum hat sich die KOJ-Gehörtherapie etabliert, die vom „KOJ Hearing Research Center“ entwickelt wurde. Das Training umfasst 40 Einheiten mit einer täglichen Trainingszeit von 30 bis 40 Minuten pro Lektion. Idealerweise sollte das Training innerhalb von zwei Monaten absolviert werden. Jede Lektion besteht aus bis zu sieben Übungen von jeweils drei bis fünf Minuten Dauer, die der Patient bei sich zu Hause durchführt. Insgesamt gibt es 20 verschiedene Übungstypen, in denen verschiedene Aspekte der Sprachwahrnehmung trainiert werden. Diese Übungen sind zudem darauf ausgelegt, Defizite in kognitiven Kernbereichen wie selektive Aufmerksamkeit, auditives Arbeitsgedächtnis und Unterdrückung störender auditiver Informationen zu trainieren.
Die KOJ-Gehörtherapie besteht aus adaptiven Trainingsmodulen. Der Schwierigkeitsgrad während jeder Trainingssitzung wird kontinuierlich entsprechend der Leistungsfähigkeit der Versuchsperson angepasst, indem der Pegel der Hintergrundgeräusche beim nachfolgenden Versuch erhöht wird (umgekehrt nimmt der Pegel der Hintergrundgeräusche nach nicht erfolgreichen Versuchen ab). So kann das Signal- Rausch-Verhältnis von 65dB (starkes Hintergrundrauschen) bis – 5 dB (kein Hintergrundrauschen) variiert werden. Darüber hinaus werden die Übungen im Laufe des Trainings immer anspruchs- voller (längere Listen von Wörtern, die man sich merken muss, mehr fehlende Wörter, die ergänzt werden müssen, Fragen mit freier Antwort versus Multiple- Choice-Fragen). Einen Überblick überverschiedene Trainingsmodalitäten und Übungsarten bietet Tab. 1.
Zu den Aufgaben dieser Gehörtherapie gehören unter anderem das Verstehen von einfachen Wörtern aus einem Satz mit und ohne Hintergrundgeräusch, das Fokussieren auf eine Stimme, während eine andere Stimme gleichzeitig ertönt, oder das Erkennen von Alltagsgeräuschen. Ebenfalls werden das Verstehen von Hörbüchern und das auditorische Gedächtnis trainiert. In einigen Aufgaben des Trainings wird auch die Verarbeitungsgeschwindigkeit trainiert. Sie wird durch die Zeit definiert, die eine Person benötigt, um eine kognitive Aufgabe durchzuführen und hängt von der Geschwindigkeit ab, mit der eine Person erhaltene Information verstehen und darauf reagieren kann. Die Versuchspersonen müssen zum Beispiel bei einem laufenden Timer bestimmte auditorische und visuelle Aufgaben lösen. Das gesamte KOJ-Training ist so konzipiert, dass die Schwierigkeit der Aufgaben und die Lautstärke des Störgeräusches schrittweise gesteigert werden. Wenn also eine Aufgabe fehlerfrei erledigt wurde, wird die nächste Aufgabe schwieriger sein und umgekehrt. Auf diese Weise wird das Training an die Bedürfnisse jedes Einzelnen genau angepasst und Langeweile als auch Frustration wer- den minimiert. Die Entwicklung jedes Patienten während des Trainings wird erfasst und genau überwacht. Mehrmals pro Monat werden Zwischentests zur Kontrolledurchgeführt.
Obwohl es bisher keine evidenzbasierte Literatur zur Bewertung der KOJ-Gehörtherapie gibt, ergab eine in eigenen Räumlichkeiten durchgeführte Pilotstudie ein um bis zu 87% besseres Sprachverständnis bereits nach vier Wochen. Die Messung des Sprachverständnisses wurde mit einem Test durchgeführt, bei dem die Personen mit und ohne Störgeräusch Konsonanten in auditorisch präsentierten Silben identifizieren mussten (sogenannte Phonemmessung). Der Vorteil der Verwendung von einfachen Silben in der Phonemmessung gegenüber den gängigen Sprachtests wie dem Freiburger Sprachtest [59] und dem Oldenburger Satztest [60], in welchen Wörter und Sätze identifiziert werden müssen, lag darin, dass man bei sinnfreien Silben den richtigen Konsonanten nicht erschließen konnte, sondern genau zuhören musste.
Zukünftige Studien
Das kognitive auditorische und audiovisuelle Training stellt eine effektive Intervention für Kinder und Erwachsene mit ADHS dar und kann als Ergänzung zur medikamentösen Therapie dienen [49]. Dennoch sollten die Schlussfolgerungen wegen wichtiger methodischer Fragen bei den oben vorgestellten Studien mit Vorsicht interpretiert werden. Die bereits verfügbaren Ergebnisse rechtfertigen jedoch weitere Untersuchungen, welche die Wirksamkeit der kognitiven Trainingsprogramme für die Milderung der ADHS-Symptome bewerten. Aus diesem Grund plant das „KOJ HearingResearch Center“ in Kooperation mit der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich die Durchführung einer randomisierten kontrollierten Studie, in welcher die klinische Wirksamkeit der KOJ-Gehörtherapie für die Verbesserung des Sprachverstehens vor allem bei anspruchsvollen Bedingungen wie Lärm oder konkurrierenden Sprechern untersucht werden soll.
Fazit
Sollten sich die positiven Effekte des auditorischen Trainings auf das Sprachverstehen und andere kognitive Funktionen in zukünftigen Studien bestätigen, könnte die KOJ-Gehörtherapie bei ADHS als Ergänzung zur psychotherapeutischen und medikamentösen Behandlung eingesetzt werden. Neben den klassischen Hörtests und Speech-in-Noise-Tests kann es für die Diagnostik von Hörstörungen auch von Vorteil sein, ADHS-Screenings wie die Wender Utah Rating Scale (WURS-k) [61] einzusetzen. Denn genau wie schwerhörige Kinder reagieren Kinder mit ADHS auf Anfragen oft erst, wenn diese wiederholt werden [62]. Im Gegensatz zu Kindern mit Hörstörung, die „immer“ Probleme mit dem Sprachverstehen aufweisen, berichten die Eltern der Kinder mit ADHS häufig über ein wechselhaftes Hörvermögen im Alltag. Eine Abgrenzung zwischen den beiden Diagnosen besteht zudem darin, dass ein Kind mit Hörverlust wahrscheinlich eine Verzögerung in der Sprachentwicklung aufweist, während ein Kind mit ADHS relativ normale Meilensteine in der Sprachentwicklung erreicht.
Literatur und Autoren
Das Quellenverzeichnis ist als Zusatzmaterial online unter www.springermedizin.de/hno-nachrichten abzurufen.
- Dr. rer. nat. Alexandra Kupferberg
Universität Freiburg
Abteilung Medizin
Chemin du Cardinal-Journet 3
1752 Villars-sur-Glâne
Freiburg
E-Mail: a.kupferberg@khrc.info - Dr. med. Anna Buadze
Dr. med. Pascal Burger
Spezialambulatorium für ADHS der
Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich
Lenggstrasse 31, 8032 Zürich, Schweiz - Prof. Dr. med. Gregor Hasler
Freiburger Netzwerk für psychische Gesundheit
L‘Hôpital 140, 1633 Marsens, Schweiz