Artikel von DerStandard ■
Probleme mit dem Gehör sind alles andere als ein Nischenphänomen: Rund 20 Prozent der Weltbevölkerung leiden an Hörschwäche, von diesen wiederum tragen nur rund 20 Prozent eine Hörunterstützung. In Österreich haben 1,8 Millionen Menschen ein beeinträchtigtes Hörvermögen, davon tragen rund 400.000 Hörgeräte.
Auch junge Menschen sind davon betroffen, greifen aber recht selten auf entsprechende Geräte zurück. Das kann ein Problem sein, wie Volker Hofmann, Sales-Director des Segments Medical beim heimischen Halbleiterhersteller AT&S, sagt: Denn der Hörverlust findet schleichend statt, viele Menschen haben ihre ersten Hörgeräte erst mit rund 70 Jahren – bis dahin hat das Gehirn aber das Erkennen vieler Frequenzen verlernt.
PSAPs: Billig kann teuer kommen
Neben dem gesellschaftlichen Stigma spielen auch Kosten und die Art der Beschaffung diverser Hörhilfen eine Rolle – und hier kommen die sogenannten Personal Sound Amplification Products (PSAPs) ins Spiel. Sie verfügen im Gegensatz zu echten Hörgeräten über keine Registrierung bei den Gesundheitsbehörden – also etwa der FDA in den USA – und werden rezeptfrei im Geschäft gekauft. Der Sinn dieser Geräte ist es, Umgebungsgeräusche zu verstärken und so zum Beispiel an Gesprächen besser teilnehmen zu können. Preislich bewegen sie sich teilweise schon im zweistelligen Bereich.
Allerdings gibt es nicht wenig Kritik an diesen Geräten. So wurden Studien publiziert, laut denen PSAPs den Anforderungen der oft älteren Kundschaft nicht gerecht werden, weil sie zum Beispiel oft niedrige Frequenzen mehr verstärken als hohe – was wiederum bedeutet, dass Hintergrundlärm lauter ins Ohr kommen könnte als das eigentliche Gespräch, das verstärkt werden soll. Auch Hofmann mahnt zur Vorsicht: «Es handelt sich dabei nicht um medizinische Geräte», betont er. Om schlimmsten Fall können solche Gadgets dem Ohr mehr schaden als nutzen.
Health-Daten und Musik hören
Dennoch zeigen Entwicklungen wie diese, dass die Grenzen zwischen Consumer- und Medizinprodukten zunehmend verschwimmen: Als «Earables» werden diese Gadgets bezeichnet, also Wearables fürs Ohr. Und sie werden zunehmend smarter.
Diverse Start-ups sind in diesem Feld aktiv, und auch etablierte Hersteller rüsten ihre Geräte zunehmend mit smarten Funktionen aus, die über die reine Hörhilfe hinausgehen: So verfügen erste Hersteller über einen Sensor, der die Herzfrequenz erfasst, inklusive Tracking der Gesundheitsdaten in einer dazu passenden App, andere Geräte des Herstellers lassen sich direkt mit dem Smartphone oder dem Fernseher verbinden, um von dort den Sound ins Ohr zu übertragen.
Regulierung bis Jahresende
Hofmann erwartet auch, dass sich die Geräte im Aussehen immer mehr drahtlosen Bluetooth-Kopfhörern annähern und auch deren Funktionen annehmen werden – wodurch das Stigma entsprechend wegfallen wird.
Auch verweist er darauf, dass bis Ende des Jahres eine Regulierung der FTC kommen soll, die den Verkauf dieser kopfhörerartigen Hörhilfen erleichtern soll. Andere mögliche Anwendungen sieht er etwa auch in der Simultanübersetzung mittels KI oder etwa in der «Fall Detection» – also der Ermittlung via Beschleunigungssensor, ob die Person gerade gefallen ist und Hilfe braucht.
Es kommt auf die Größe an
Ein Knackpunkt bei all diesen Plänen: Die Sensoren brauchen Platz, und den Akku braucht es ebenfalls: Laut Hofmann muss der Akku eines Hörgeräts einen Tag, also 16 Stunden, halten, bevor er nachts wieder auflädt – wird parallel zur Hörhilfe noch Musik vom Smartphone gestreamt, so belastet dies den Akku. Und auch diverse Sensoren brauchen Raum im Gerät, immer mehr Komponenten und Anschlüsse werden nötig. Und das, obwohl diese ja eigentlich kleiner werden sollen.
Platz gespart werden soll entsprechend durch Leiterplatten wie jene, die AT&S entwickelt hat und für die das Unternehmen mit dem Innovationspreis Steiermark ausgezeichnet wurde: Die Leiterplatte ist so groß wie ein Fingernagel, so dick wie zwei Haare und kann mehrere Mikrochips aufnehmen – was entsprechende Funktionen ermöglicht. Schon jetzt wird sie bei Hofmann bei diversen Hörgeräten eingesetzt – vier der sechs größten Hörgerätehersteller sind als Partner beteiligt –, künftig sollen damit weitere Funktionen ermöglicht werden.
Außerdem soll die Minileiterplatte auch in anderen Geräten, etwa Herzschrittmachern und Insulinpumpen, eingesetzt werden. Es ist also davon auszugehen, dass die Versmartung der medizinischen Geräte auch vor diesem Bereich nicht haltmacht.