Ein zunehmender Verlust des selektiven Hörens, der auch als Cocktailparty-Problem bezeichnet wird, könnte im Alter die Entwicklung von Demenzerkrankungen fördern. Zu diesem Ergebnis kommt eine prospektive Beobachtungsstudie im Journal of the Alzheimer’s Association (2021; DOI: 10.1002/alz.12416).
Die meisten Hörstörungen entwickeln sich langsam und werden deshalb oft übersehen. Eines der Frühzeichen sind Probleme, sich in größeren Gesellschaften mit einer einzelnen Person zu unterhalten und dabei die Nebengeräusche auszublenden. Audiologen bezeichnen dies als Cocktailparty-Problem und haben einen einfachen Test entwickelt, die Hörstörung zu diagnostizieren.
Beim Ziffern-Tripel-Test werden den Probanden 3 Ziffern vorgelesen, die mit zunehmenden Störgeräuschen unterlegt sind. Gemessen wird der Schwellenwert, bis zu dem es den Probanden noch gelingt, die Sprache zu verstehen („speech reception threshold in noise“).
In der UK-Biobank Studie hatten 82.039 Teilnehmer im Alter von median 62 Jahren den Test durchgeführt. Von ihnen erzielten 67.645 ein normales Ergebnis. Bei 11.329 war das Sprachverständnis bei Hintergrundgeräuschen eingeschränkt und bei 3.065 unzureichend.
In der letzten Gruppe erkrankten 103 in den folgenden 11 Jahren an einer Demenz und damit fast doppelt so viele wie in der Gruppe mit normalem Testergebnis. Jonathan Stevenson vom Nuffield Department of Population Health an der University Oxford ermittelt eine Hazard Ratio von 1,91, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,55 bis 2,36 signifikant war. Für die Personen mit einem mittleren Cocktailparty-Problem war das Demenzrisiko nicht ganz so stark erhöht. Die Hazard Ratio betrug hier 1,61 (1,41 bis 1,84).
Die Studie deutet damit darauf hin, dass Hörstörungen, die die Kommunikation in geräuschreicher Umgebung behindern, das Demenzrisiko erhöhen. Frühere Untersuchungen, die die Hörstörungen zumeist mit der Reintonaudiometrie diagnostiziert hatten, waren zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Eine vom Lancet beauftragte Kommission hat im letzten Jahr Hörstörungen sogar zu 1 von 12 modifizierbaren Demenzursachen erklärt, die für etwa 8 % aller Erkrankungen verantwortlich sein könnten.
Ob die Assoziation kausal ist, lässt sich in der epidemiologischen Studien nicht sicher klären. Denkbar wäre, dass Hörstörungen ein frühes Symptom einer Demenz sind. Stevenson versucht dies auszuschließen, indem er nur Erkrankungen gezählt hat, die nach einer gewissen Latenzzeit auftreten. Es änderte sich jedoch nichts an den Ergebnissen, wenn nur Demenzerkrankungen gezählt wurden, die frühestens 3, 6 oder 9 Jahre nach dem Test aufgetreten waren.
Die Studie kann auch ausschließen, dass eine soziale Isolierung oder Depressionen statt der Hörstörung für die Demenz verantwortlich sind. Damit bleibt letztlich ungeklärt, auf welche Weise die Hörstörung zur Demenz führt.
Wenn aber Hörstörungen das Demenzrisiko erhöhen, dann sollten Hörgeräte davor schützen können. Auch hier steht der Beweis noch aus. Stevenson kann jedoch zeigen, dass die Teilnehmer mit Hörstörungen, die ein Hörgerät benutzten, seltener an einer Demenz erkrankten: Für die Teilnehmer mit eingeschränktem Sprachverständnis vor Umgebungsgeräuschen betrug die Hazard Ratio nicht-signifikante 1,25 (0,80 bis 1,95) und bei fehlendem Sprachverständnis vor Umgebungsgeräuschen ebenfalls nicht-signifikante 1,21 (0,74 bis 1,99).
Ein Beweis für die Schutzwirkung von Hörgeräten ist dies jedoch nicht. Hierzu wäre eine randomisierte klinische Studie notwendig, die einigen Teilnehmern die Verordnung eines Hörgerätes vorenthalten müsste. © rme/aerzteblatt.de
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